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■ QuerspalteDas offene Wort

Wer seinen Ärger nicht mittels ätzender Bemerkungen verdaut, dem stinkt's bald gewaltig. Verbitterung durch verbale Verstopfung produziert dicke Luft. Vor allem dort, wo Flucht unmöglich ist und Hierarchien dem Menschen den Mund verbieten: am Arbeitsplatz. Hier heißt es stoisch schweigen, flüsternd lästern oder sklavensprachlich verklausulieren. So machen es in diesem Land, dessen Amtssprache nicht umsonst ein „Jargon der Eigentlichkeit“ geheißen wurde, alle. – Alle? Nein, ein paar Aufrechte scheuen sie nicht, die Chef-Beschimpfung. Nun ist es eine Eigenheit der deutschen Gesellschaft, Grundfragen gerichtlich zu entscheiden. In diesem Fall die Frage: Ist die betriebliche Majestätsbeleidigung ein Kündigungsgrund? Das Landesarbeitsgericht (LAG) Frankfurt am Main meinte, ja, seinen Chef mit „Arschloch“ zu titulieren sei einer. Auch wenn das Wort zur fortgeschrittenen Stunde eines feuchtfröhlichen Betriebsfestes gefallen ist. Dagegen befand das LAG Köln, daß „du altes Arschloch“ zwar eine Entgleisung, jedoch keine schwere Beleidigung sei, somit kein Kündigungsgrund. Ebenso rechtfertigte das Gericht, Geschäftsführer als „Verbrecher“ zu bezeichnen: Der Arbeitnehmer sei nicht verpflichtet, Zuneigung zu seinem Arbeitgeber zu empfinden. Außerdem seien Äußerungen über Vorgesetzte kein Kündigungsgrund, wenn sie unter Kollegen fielen, im Vertrauen auf deren Verschwiegenheit. Womit wir wieder beim leidigen Lästern wären. Begrüßenswert ist indes eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, nach der Lästerern, die verraten werden, keine Konsequenzen drohen. Somit ist immerhin einer zweiten deutschen Untugend, dem Denunziantentum, rechtlich ein Riegel vorgeschoben. Das offene Wort sollte dennoch mehr Gehör finden. Denn was für Chefs und Diskurstheoretiker ein Problem ist – der Wechsel vom sachlichen Gespräch zur persönlichen Beleidung –, ist für den Psychologen oft schon die Lösung: Nichts ist schließlich motivierender als häufiges (Scheiße- und) Arschloch-Sagen, weiß Sven Hillenkamp

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