■ Querspalte: Die Hertha in Bestform
Beim vorletzten Besuch eines Bundesligaspiels der Berliner Hertha stellte der Stadionsprecher in der Pause zur netten Unterhaltung folgende Quizfrage: „Welcher Trainer hielt es nur einen Tag bei Hertha BSC aus? Cramer, Gutendorf oder Keßler?“ Richtig: Es war Dettmar Cramer. Das Quiz war großartig, tolle Eigenwerbung. Es verrät alles über die Geistesverfassung eines Clubs, der seine 70.000 Fans – sie könnten's ja vergessen – in der Halbzeit fürsorglich daran erinnert, daß der eigene Verein derart versaut ist, daß ein normaler Mensch innerhalb von 24 Stunden flieht.
Am Wochenende hat die Hertha diesen Ruf betonschwer untermauert. Aufsichtsratschef Robert „Crazy“ Schwan (76) war aus dem Kitzbüheler Altersheim ins Münchener Fußballstadion gereist, wo die Hertha ein ganz normales Fußballspiel verlor. In einem multiplen Anfall von Senilitäts- und Größenwahn schrie Schwan plötzlich auf der Tribüne herum und wollte den Trainer feuern, weil dessen Mannschaft sich habe „schlachten“ lassen. Soweit war noch alles in Ordnung. Man hätte nun Herrn Schwan ein Beruhigungszäpchen einführen und ein paar nette Videos von früher vorspielen müssen, als er noch Bayern-Manager war und der Franz sein Libero, und wie dann der Müller mit den dicken Schenkeln dauernd ins Tor schoß. Doch anstatt einem desorientierten Alten Erste Hilfe zu leisten, nickten die Hertha-Angestellten mit 2:1 und beschlossen – mein lieber Schwan! –, den erfolgreichen Trainer zum Saisonende zu entlassen.
Zugegeben: Das hat was. Hier wird Altersstarrsinn noch ernstgenommen. Hier darf ein Greis seine Affekte ausleben, ohne sediert mit Spieluhr und Kukident in den Ruheraum geschoben zu werden. Hertha in Hochform. Ob sie das alte Niveau wieder erreicht? Damals, als schwarzgedruckte Eintrittskarten noch in einem Sarg deponiert wurden und die Spieler beim Umziehen zusammengerollte Geldscheine in ihren Schuhen fanden. Hertha, mach's noch einmal! Manfred Kriener
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