■ Querspalte: Wir sind ein Fußballvolk
Es hilft nichts, wir müssen endlich mal über Fußball reden. Nicht wirklich allerdings. Was tut eigentlich Berti Vogts für die nationale Integration der Ostfußballer in den freien Westen? Einiges. Mehr als verdoppelt hat sich der Anteil der vierzig Jahre lang Belogenen und Betrogenen im Vergleich zur letzten WM. Der Bundestrainer nahm sich das bekannte Um-hier-zu-gewinnen-müssen-wir-mehr-als-hundert-Prozent-geben zu Herzen, mehr noch, beherzt hat er es in die Tat umgesetzt. Fuhren vor vier Jahren nur zwei in der ehemaligen SBZ geborene Kicker zur Weltmeisterschaft in die Neue Welt, um im Viertelfinale gegen Bulgarien kläglich auszuscheiden, sind heuer unter den 22 Auserwählten immerhin fünf Pofis, die ihr Handwerk in den realsozialistischen Jugendsportschulen gelernt haben.
Die Präsenz der fünf neuen Länder reduzierte sich 1994 auf zwei Namen: Matthias Sammer und Ulf Kirsten – und was dabei herausgekommen ist, daran erinnern Sie sich spätestens, seit ich es im vorigen Absatz erwähnt habe.
Bei dem bevorstehenden Wiedergutmachungsversuch in Frankreichs Stadien sieht die Sache besonders im Angriff verdammt anders aus. Zwei von vier Stürmern kommen aus dem ehemaligen Drüben. Beide haben der vom Westen dominierten Bundesliga gezeigt, wo Hammer und Sichel hängen. Kirsten schoß die meisten, Marschall die zweitmeisten Tore der vergangenen Saison. Gratulation! Spielen werden aber Klinsmann und Bierhoff. Ist das gerecht? Das werden die Bild-Ausgaben in Dresden und Leipzig entscheiden.
Festzuhalten bleibt, daß Trainer Vogts außerdem mit Freund, Heinrich und Jeremies einen letzten Versuch startet, dem ostdeutschen Fußball die Referenz zu erweisen, während die 1. und 2. Bundesliga in der kommenden Saison nur noch höchstens drei Vereine kennen, die auf eine Vergangenheit in der DDR zurückblicken können. Was das alles zu bedeuten hat? Statistiken lügen. Aber alle anderen (die Querspalte sowieso) auch. Dietrich zur Nedden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen