■ Querspalte: Im Würgegriff
Haben wir nicht gerade das Ende der Blockade vor fünfzig Jahren gefeiert? Geht es jetzt wieder los? Und wer steckt dahinter? Damals war die Weltlage klar und West-Berlin im Würgegriff der bösen „Sowjets“. Doch welch sinistre Konspiration wird heute gesponnen und macht die Stadt zur Geisel?
Irgendwie fing es schleichend an vor einer Woche. Als erstes war das Bahnnetz an der Reihe. Die „Aktion Fahrplanwechsel“ legte den Schienenverkehr auf der Stadtbahn lahm. Von wegen technische Schwierigkeiten. Da ahnte noch keiner, daß dies im Masterplan nur der erste Schritt zur Abriegelung der Frontstadt war. Kurze Zeit später zogen Umlandjugendliche erste Grenzen um ihre Badeseen. Dann meldete der Rundfunk, daß eine Vielzahl von Baustellen auf der Autobahn nach Helmstedt – mithin in den freien Westen – im Pfingstreiseverkehr zu umfänglichen Staus führen werde. Da hätten wir noch aufmerken können. Zu spät. Seit gestern nun ist Stufe drei in Kraft, der angebliche Streik des Personals von Air France beginnt nun den Flugverkehr der Stadt zu strangulieren. Das haben damals vor fünfzig Jahren selbst die Russen nicht geschafft.
Die Politik schläft mal wieder: Nichts hat sich wahrscheinlich der SPD-Fraktionschef Klaus Böger gedacht, als er vor wenigen Tagen noch mit einem Zug nach Hamburg fahren durfte und die Durchsage kam: „Der Speisewagen bleibt wegen Warenmangels geschlossen“ und das Mitropa-Personal selbst bei der Frage nach Kaffee nur höhnisch lachte. Spätestens da hätten doch die Alarmglocken läuten müssen. Was soll noch alles passieren, bis der Senat aufwacht! Kein Ernst Reuter ist in Sicht, und keiner blickt auf die Stadt, um die sich die Schlinge weiter zuzieht und die langsam ausgehungert wird. Und die Senatsreserven sind auch aufgelöst. Armes Berlin. Gerd Nowakowski
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