■ Querspalte: Wallraff siegt in Thüringen
„Auch die Fans von Liverpool haben Angst vor Motor Suhl“ – jahrzehntelang verdankte das Four-Letter-Städtchen am Südhang des Thüringer Waldes seinen überregionalen Bekanntheitsgrad allein diesem vermutlich nicht ganz wahrheitsgemäßen Schlachtreim. Übermorgen aber schreibt der Ort zum ersten Mal große Geschichte: Die Suhler Filiale von McDonald's muß dichtmachen – wegen Gästemangels.
Seit 27 Jahren brät der Konzern jetzt Sandwiches auf deutschem Boden, und in dieser Zeit hat er weniger als zehn Läden aufgegeben – allerdings in keinem Fall, weil das Volk vor Ort nicht mehr nach US-Art schnell essen wollte, sondern weil die Mietverträge ausgelaufen waren. In Suhl haben jetzt erstmals die Bürger gegen die Burger entschieden, und es ist natürlich kein Wunder, daß das im Osten passiert. Dort waren Frikadellenbrötchen und mutmaßlich auf Hühnerfleisch fasierende Nuggets nie so beliebt wie beispielsweise Döner.
Auch wenn in den 869 übrigen deutschen McDonald's- Zweigstellen die warmen Semmeln weiterhin begehrt sind, müssen sich die hiesigen Strategen des Imbiß-Imperiums natürlich fragen, wie das Unglück in Thüringen seinen Lauf nehmen konnte. Ist der Lieblingsschriftsteller der Suhler vielleicht Günter Wallraff, der unerschrockene Kämpfer wider die menschenunwürdige Fast-food-Produktion?
Der Ostdeutsche hat eben nicht nur seine vielbeschworene Identität, er hat auch einen besonderen Verdauungstrakt. Was die Moskowiter und die Pekinger futtern wollen, will der antiwestliche Suhler noch lange nicht. Der Thüringer ißt Thüringer und nicht die pappigen Brötchen der Yankees, denn der Patriotismus, der geht auch durch den Magen.
Wenn McDonald's in Suhl kapitulieren muß, bleibt nur der Schluß, daß jede Filiale des Konzerns eine zivilisatorische Errungenschaft ist. Versöhnlich stimmt lediglich, daß sich McDonald's zurückzieht, ohne durch einen Brandanschlag oder ähnliche Taten dazu gezwungen zu sein. Der Ami geht heim, aber immerhin unversehrt. René Martens
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