■ Querspalte: Kein Skandal, nirgends
Die Zeit der Jahresrückblicke ist gekommen, aber eine Hitliste muß dieses Mal leider ausfallen: die mit den amüsantesten Politiker-Affären. Schuld ist der grauhaarige Bengel aus dem großen weißen Wohnbüro in Washington. Die Medien waren so sehr mit seiner Affäre beschäftigt, daß ihnen keine Zeit mehr blieb, andere – womöglich wesentlich amüsantere – zu recherchieren oder inszenieren.
In den vergangenen Jahren ließ ein Herr Krause, der mal Minister war im Osten, seine Putzfrau vom Arbeitsamt bezahlen, Frau Lengsfeld ihr Kindermädchen aus Bundestagsmitteln, und Frau Süssmuth flog mit einer Bundeswehrmaschine in die Ferien. Moralisch erstligareife Medienarbeiter empörten sich wochenlang über diese Peanuts-Krümel, schlagzeilten über die „Putzfrauen-Affäre“, die „Kindermädchen-Affäre“ und die „Dienstflug-Affäre“, und unsereins lebte in steter Vorfreude auf neue putzige Komposita.
Just als diese großen Momente des deutschen Politentertainments in Vergessenheit zu geraten drohten, bringt ein Volksvertreter sie endlich wieder ins Gespräch: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Er fliegt, im Gegensatz zu Vorgängerin Süssmuth, nicht nur privat nicht mit der Bundeswehr, nein, nein, es wäre ja auch undenkbar, daß sich der ehrbare Sozialdemokrat in eine Affäre verwickelt. Auch dienstlich verzichtet er auf Militärmaschinen. Zu seinen bisherigen Auslandsbesuchen in der Tschechischen Republik und Frankreich sei er, meldet Die Welt, „per Linie“ gereist beziehungsweise „mit Linie“. Und auch wenn Thierse nach Hause will in seine schnuckelige Wohnung im Prenzlauer Berg, fliegt er mit der Lufthansa. „Nur wenn er einen Termin gar nicht anders wahrnehmen könne, werde er auf die Flugbereitschaft zurückgreifen, heißt es in seiner Umgebung.“
Also, wenn aus diesen Zeiten nicht der Geist der Zeitenwende atmet! Gibt es jemanden, der die Politik der rot-grünen Koalition besser verkörpern könnte als der hochanständige Antimilitarist Wolfgang Thierse? René Martens
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