■ Querspalte: Tabuwächter
In Vorzeiten, als man noch mit der Keule Eier schälte und einen fetzigen Schurz aus Mammutfell trug, war die Welt noch in Ordnung. Zwar gingen unseren Ahnen ein paar Annehmlichkeiten – Fernwärme und elektrische Zahnbürsten – ab, aber das kompensierten sie mit einer einfachen Sicht von der Welt. Denn man kannte das Tabu. Und wer das brach, etwa am Totemtier herumfingerte, konnte den Fetisch dann in den ewigen Jagdgründen näher in Augenschein nehmen.
Stammesälteste und Tabuwächter moderner Horden können jenen Schrecken nicht mehr verbreiten. Joschka Fischer zum Beispiel. In nahezu anorektischer Askese die Vorzüge gesunden Lebens demonstrierend, ist er seinem Parteivolk weder Vorbild, noch lehrt er den Maßlosen das Fürchten. Rauchen ist echt schlecht, gefährdet die Gesundheit – das könnte man dem Erscheinungsbild des Außenministers entnehmen, hätte man ihn nicht auch schon mit einer dicken Cohiba zwischen den Zähnen gesehen.
Fischers Kollegin vom Gesundheitsressort hat die Warnung auf die kleinen Packungen mit dem nikotinhaltigen Teufelszeug gedruckt. Eine Zeitlang haben die Grünen dem Slogan getraut und diverse Nichtraucher-Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht. Aber dann ist der Leipziger Parteitag gekommen und der Tabakmulti Reemtsma mit seiner West- light-Presselounge, und schon bröselt die puristische No- smoking-Fraktion („Die deutsche Politik huldigt dem Glimmstengel.“) auseinander wie trockener Tabak oder zieht sich passiv die Schwaden rein. Was nicht so schlimm ist, sind ja schließlich nur Diät-Lullen und ganz sicher, Lungenzüge werden nicht gemacht. Nur paffen in der Backe, ehrlich. Aber egal, Hauptsache es raucht. Wenn Qualm nicht durch gedanklichen Überdruck den Ohren der Bundesdelegierten entweicht, dann wenigstens anderen Kopföffnungen. Das schafft Farbenfreude, so oder so. Grün der Sinn, blau der Dunst, rot der Partner und schwarz die Lunge. Eine bunte Koalition schlimmer Tabubrecher. Markus Völker
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