■ Querspalte: Nächtliche Unruhe
Um Mitternacht, um Mitternacht, steht Förster Constien auf der Wacht. Gut getarnt durch Zierbüsche starrt er durchs Nachtsichtgerät auf die Wasseroberfläche der Havel. Denn von dort wird der Feind kommen, fast geräuschlos, nur leise grunzend. Um anschließend die Beete und Grünflächen der Pfaueninsel zu verwüsten.
Förster Constien (45) ist im Zwiespalt. Einerseits hat er die autoritative Feststellung des Wissenschaftlers Professor Seller im Ohr: „Wenn das Wildschweinproblem nicht bis zum Saisonbeginn erledigt ist, wird es zur Katastrophe kommen“. Andererseits regt sich sein Gewissen als Waidmann. Denn schon jetzt tragen die meisten Sauen Junge. Constien wird den Konflikt auf bewährte deutsche Weise lösen. Er wird (schweren Herzens) schießen.
Woher ich das (und viele andere Dinge) weiß? Aus der gestrigen Ausgabe des auflagenstärksten Boulevardblattes. Wir werden dort auf eindrucksvolle Weise ins Bild gesetzt, welcher Schaden an der Kulturlandschaft angerichtet wird, die, einst von Karl von Lenné angelegt, heute von der Senatsverwaltung unter großen Kosten gehegt und gepflegt wird. Und wichtiger noch: Wie Berlin bei Fortdauer der Wildschweinplage in den Augen der 200.000 zahlenden, meist aus dem restlichen Bundesgebiet angereisten Besucher der Pfaueninsel dastehen wird. Schließlich gilt sie schon jetzt als europäische Schmutz-Hauptstadt.
Aber die Fotoreportage von Bild enthält noch einen Subtext, eine Botschaft, die denjenigen unmöglich entgehen kann, die sich schon in den 60er Jahren sei's seminaristisch, sei's Mollis werfend mit Springers Lieblings-&Schmerzenskind auseinandergesetzt haben. Denn die Frage steht: Woher kommen die Wildschweine? Der ahnungslose heutige Leser wird prompt antworten: Aus den Wäldern südwestlich der Havel. Dem Kundigen aber ist klar: Jenseits von Glienicke verlief bis 1990 die Staatsgrenze der DDR. Die Schweine kommen aus dem Osten! Christian Semler
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