■ Querspalte: Anus praeter
Moment noch! Bevor Sie diese Zeitung beiseite legen, um sich dem Naturkostjournal Schrot und Korn zu widmen, sei mir noch eine Anmerkung gestattet: In einer Langzeituntersuchung haben amerikanische Wissenschaftler festgestellt, daß ballaststoffreiche Ernährung das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, eher erhöht denn vermindert.
Sie wissen, was das heißt. Sie wollten es überhaupt nicht wissen, aber nun wissen Sie's. Sie glauben nicht an derlei Studien? Nun, es wurden 88.757 Probandinnen beobachtet. Etwas repräsentativer als Allensbach. Tut mir leid. Ich sehe nur meine bleichen, hohlwangigen Nachbarn, die sich von Sauerkrautjuice und Haferpampe ernähren. Mich überrascht es nicht, daß gesunde Ernährung krank macht. Aber für Sie muß das natürlich ein Schock sein! Jahre haben Sie gebraucht, um sich den Rote-Bete-Saft leckerzutrinken. Um die Steinchen im Vollkornbrot nicht mehr zu spüren, haben Sie einen Autosuggestionskurs belegt. Und ungesüßte Dinkelkekse sind der Knaller Ihrer (Malz-)Kaffeetafeln. Alles umsonst? Ja, klar.
Andererseits haben Sie – wie die Menschen im Osten auch – ein Recht darauf, daß Ihre Lebensleistung respektiert wird. Immerhin müssen Hirsekolben nicht unbedingt viel gefährlicher sein als Methanol oder Atommüll. Wir sind ein freies Land. Da kann man essen, was man will. Sogar Ballaststoffe. Meist dauert es sowieso Jahrzehnte, bin sich da unten die ersten Knötchen bilden. Und wenn schon: Es gibt ja künstliche Darmausgänge heutzutage. Da ist die Wissenschaft schon erstaunlich weit. Später kriegt man Morphium und merkt nichts mehr. Es ist vielleicht günstig, wenn Ihr Krankenversicherer Sie nicht im Ökoladen erwischt. Aber ansonsten, meine Güte: Eine kleine Sünde in Ehren ... Was sag' ich hier?! Was weiß ich schon von Ihren Ängsten? Ich bevorzuge ja Weizenmehltorte mit raffiniertem Rübenzucker, satter Buttercreme und Schlag obendrauf. Da ist man natürlich auf der sicheren Seite. André Mielke
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