Querspalte

■ Gewalt gegen Musik

 Gewalt ist immer gut. Denn Politiker und Institutionen, die das Thema aufgreifen, können ohne intellektuelle Anstrengungen garantiert ein paar Image- und Social Awareness-Punkte machen. Das haben auch die AOK, die Plattenfirma BMG und der TV-Sender Viva erkannt, die zu der Aktion „act 99 – Musik gegen Gewalt an Schulen“ aufgerufen haben. Ihr Wettbewerb läuft noch bis zum 31. Juli, und den Besten unter den gewaltfeindlichen Talenten winkt vielleicht ein Plattenvertrag.

 Die Zeiten ändern sich: Als ich noch zur Schule ging, war nicht Musik gegen Gewalt gefordert. Wir hätten eher Gewalt gegen Musik an Schulen gebraucht, gegen Schülerbands nämlich, deren Mitstreiter mit Hilfe verträumter Gitarrensoli die Befreiung aus der elterlichen Villa imaginierten. Gewalt gegen Musik an Schulen – das wäre damals so wichtig gewesen wie heute Gewalt gegen Livemusik in Restaurants: „Du vergewaltigst nie wieder the Girl from Ipanema“ – „Schurke! Nimm dies, zack!“ usw.

 Den Initiatoren von act 99 aber sind auch die abgegriffensten Textbausteine nicht zu billig: „Die Gesundheitskasse AOK, der Musiksender Viva und die Plattenfirma BMG wollen nicht schweigend zusehen.“ Und dein Onkel von der Krankenkasse sagt: „Wir wollen Jugendlichen keine fertige Kampagne vorsetzen und sie mit erhobenem Zeigefinger belehren.“ Nein, nein, um Gottes Willen, bloß nicht den Zeigefinger heben, das wäre ja noch schlimmer als Gewalt. Auch der niedersächsische Innenminister Reiner Bertling macht gerade mobil gegen den nonverbalen Austausch von Argumenten, weil sich auf seinen Fußballplätzen immer öfter deutsche und ausländische Jugendliche kloppen und so die Schiedsrichter zwingen, die Spiele abzubrechen. Aber viel Mühe hat er sich nicht gegeben. Berings Vorschlag: „Runder Tisch.“ René Martens