■ Querspalte: Die Moderne ist bedroht: Schamloser Sommer
Was sind die vier größten Feinde des Sozialismus? Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Als Witz kann das nicht mehr durchgehen, weil eben diese Feinde dem Sozialismus unmißverständlich klargemacht haben, daß er sich nicht warm genug angezogen hat, um historisch zu überwintern. Dieser Satz enthält jedoch, wie der Satz des Pythagoras, so viel Wahrheit, daß er zum letzten Schluß systemübergreifender Weisheit wird. Alles klar? Nein? Gar nichts?
Fünf Jahre lang hat der Westen nach dem Untergang des wetterwendischen kommunistischen Imperiums nach einem neuen Bösewicht gesucht – vergeblich. Dieser Tage stehen die Chancen erstmals wirklich gut, einen richtig schönen, neuen Feind zu finden, der den Untergang der modernen Welt auf die Tagesordnung setzt: der Sommer. (Mit cleverem Marketing lassen sich vielleicht Frühling, Herbst und Winter noch dazugewinnen.) Zeitungen, die versuchen, ihre Leser mit billigen Tips wie „viel Wasser trinken“ oder „luftige Kleidung tragen“ über das wahre Bedrohungspotential des Sommers hinwegzutäuschen, werden das schon bald mit einem rapiden Auflagenrückgang bezahlen müssen. Wie schon so oft, hat wieder mal Bild das richtige journalistische Timing. Unter der Schlagzeile „Nacktes Deutschland“ stellt sie die drei entscheidenden Fragen der Zeit: „Steht Deutschland vor einem schamlosen Sommer? Wo darf ich nackt sein? Wo sollte ich mich zurückhalten?“ Nur die Süddeutsche Zeitung geht philosophisch noch tiefer und beklagt, daß angesichts der ekligen Nackten allüberall „die Gleichzeitigkeit von Schamlosigkeit und Schwachsinn gesellschaftliche Realität“ geworden ist. Darüber verliert jegliche Politik ihre Legitimation.
Sogar die Südkoreaner hatten in Dallas mehr Angst vor der Hitze als vor den Deutschen. Das ist das Ende. Jens König
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