Queeres Zürich

Singing Out – Das 7. Europäische SchwuLesbische Chorspektakel  ■ Von Werner Hinzpeter

„Achtung, es folgen 26 Homosexuelle!“ Die zickige Warnung des Sängers war unnnötig: die PassantInnen in der Zürcher Innenstadt beobachteten das Treiben der Hamburger „Schola Cantorosa“ und 19 weiterer schwuler und lesbischer Chöre mit freundlichem Interesse. „Singing out“ nannte Alfred Gilgen, der Regierungsrat des Kantons Zürich und gleichzeitig Erziehungs- und Kulturminister, das „7. Europäische SchwuLesbische Chorspektakel“. Tatsächlich hatte sich das Festival nicht auf eine homosexuelle Insel zurückgezogen, sondern ganz bewußt die Öffentlichkeit gesucht. Dies gipfelte am vergangenen Samstag in einem offenen Singen der 450 SängerInnen zur besten Einkaufszeit in der City. In Räuberzivil oder auch im schrillen Fummel stellten sich die Chöre nacheinander an drei belebten Plätzen – darunter auch in der noblen Bahnhofstraße – auf und sangen von Kondomen, geilen Männern und steifen Schwänzen. Entrüstung? Keine Spur. Die Zürcher Bevölkerung scharte sich in mehr oder weniger respektvollem Abstand um die Sängerhaufen und applaudierte begeistert.

Sollte der Trend der letzten Woche anhalten, könnte die Schweizer Schwulen- und Lesbenbewegung bald ihre Arbeit einstellen. Zürich war so schwul wie noch nie. An allen Plätzen, selbst in Bussen und Straßenbahnen prangte das Veranstaltungsplakat; die Schweizer Medien informierten reichlich und überschwenglich. Die Veranstalter zeigten sich von der allseitigen Unterstützung völlig überrascht. Es gab keinen einzigen nennenswerten Fall von Diskriminierung. „Ich muß fast sagen: leider“, witzelte Urs Guggenbühl, Präsident des Gastgeberchors „Schmaz“, weil er auf die immergleichen Presseanfragen hierzu nur eine Fehlanzeige abgeben konnte. Als böse Buben mußten die Moderatoren eines lokalen Radiosenders herhalten, die einen Werbespot für das Festival bestreiken wollten.

Die Politiker machten einen Wettstreit daraus, sich mit ihren Äußerungen an Homo-Freundlichkeit gegenseitig zu überbieten. Staatsrat Gilgen betonte, daß die brave Bürgerlichkeit, die man den Schweizern nachsagt, der Toleranz doch nicht entgegenstehe. „Toleranz“ war auch sein Lieblingswort beim offiziellen Empfang der SängerInnen auf der Halbinsel Au am Zürichsee. Jean-Pierre Hoby, Chef der städtischen Zürcher Kulturpflege, erzählte in seiner Begrüßungsrede zu Beginn des Spektakels von lesbischen Ambitionen seiner kleinen Tochter. Die habe nämlich erklärt, wenn sie groß sei, werde sie ihre Mami heiraten. Und auf den gemeinen Kommentar ihres Bruders, das ginge nicht, schließlich seien sie dann ja beide Frauen, habe sie gekontert: „Wichtig ist doch, daß man sich lieb hat.“

Kein Wunder, daß die SängerInnen bei derart freundlichen Rahmenbedingungen übermütig wurden. Sie waren aus England, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und natürlich aus der Schweiz gekommen. Auffällig war der geringe Frauenanteil. Mit dem Zürcher „Lechz“ war nur ein Lesbenchor vertreten, zwei schwul- lesbisch gemischte Chöre kamen aus London („Pink Singers“) und Paris („Equi Vox“). Die anderen 17 Chöre waren rein schwul. Mit zwölf Chören zeigte Deutschland die größte Präsenz.

Die familiäre Atmosphäre in Zürich konnte jedoch nicht den Wettbewerbsgeist schmälern. Alle wollten natürlich bei der Abschlußgala am Samstagabend auftreten, die von Deutschlands prominentester Lesbe Hella von Sinnen moderiert wurde. Die Jury betonte immer wieder erfolglos, es gehe nicht um einen Wettbewerb, sondern um die Auswahl eines Querschnitts durch die schwul-lesbische europäische Chorszene. Zwei Karlsruher Musiker nahmen die Sache gar so ernst, daß sie sofort ihre Koffer packten, als ihre „Schrillmänner“ auf die Zuschauertribüne verbannt wurden.

Wie aber singen denn nun schwule und lesbische Chöre? Die Antwort ist gar nicht so einfach. Auf jeden Fall unterscheiden sie sich deutlich von den amerikanischen Chören, die das schwule Sangeswesen in den siebziger Jahren begründeten. Während die US-Chöre auf Masse, Pathos und glanzvolle Shows setzen, lebten die Auftritte in Zürich von Individualität und Parodie. Das Spektrum reichte dabei von Renaissance- Musik bis zum aktuellen Hit der Schlagerparade, vom asketischen Gesangsvortrag bis zur spektakulären Bühnenshow. Aber es gab auch erkennbare Trends. So dominierten ganz eindeutig Volkslieder, Schlager und Evergreens, wenn auch selten in ihren Originalversionen. Besonders beliebt waren genitale Persiflagen bekannter Werke. Da wurde dann aus dem My-Fair-Lady-Song „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ ein „Der Schwule schwärmt, wenn schwere Schwänze schwellen“ und aus dem „kleinen, grünen Kaktus“ der Comedian Harmonists kurzerhand ein „kleiner, grüner Dildo“. Kaum ein Chor verzichtete auf humorvolle Texteinlagen. Viele Gruppen hatten ihre Auftritte mit einer Choreographie versehen, wobei ab und an versucht wurde, mit spektakulären Auftritten Mängel in der Gesangsqualität zu übertünchen. In Choreographie und Kostümen wurden besonders gern Szene-Klischees aufs Korn genommen. Die Frankfurter „Mainsirenen“ etwa brillierten mit einem schwulen Dschungelbuch voller Tunten, Lederkerle und Techno-Affen, der schwule Männerchor Kiel setzte ganz auf die Tunte. Mehrere Ensembles boten kurze Musicals mit geschlossenen Geschichten, so zum Beispiel „Homophon“ aus Münster, die mit Schneewittchen und sechs schwulen Zwergen den Saal zum Kochen brachten. Zum Liebling des Zürcher Publikums avancierte die Hamburger „Schola Cantorosa“ mit einem parodierenden Programm über „Das Land von Swatch und Wilhelm Tell“.

Was in den vier Tagen des Festivals geboten wurde, konnte sich durchaus sehen und hören lassen. Nur zwei Chöre strapazierten die Geduld der ZuschauerInnen, nur einer von ihnen, die „Rosa Note Stuttgart“, bekam Buhrufe. Die falsettfreudigen Chöre waren originell und auf hohem Niveau. Damit bestätigten sie eines der wenigen Vorurteile, die Homosexuelle gerne hören, nämlich daß sie besonders künstlerisch begabt seien. Dazu trägt nicht zuletzt auch die überdurchschnittliche Qualifikation der ChorleiterInnen bei, unter denen sich sogar ein Musikprofessor befand. Zudem sind die SängerInnen homosexueller Chöre überdurchschnittlich jung.

Schwule und lesbische Chöre haben nicht nur eine musikalische Dimension. Eine Sängerin aus London hält sie „für eine gute Möglichkeit, schwulen und lesbischen Stolz zu zeigen“. Natürlich geht es auch um Kontakte zu anderen Schwulen, wie ihr Mitsänger Philipp hinzufügt. Er findet es „beeindruckend zu wissen, daß Homosexuelle sich in der ganzen Welt zu Chören zusammengeschlossen haben“. Und Martin aus Karlsruhe verdankt seinen „Schrillmännern“ das Coming out. Die Gemeinschaft der SängerInnen überschreitet aber nicht nur Ländergrenzen. Ganz selbstverständlich standen Behinderte mit auf der Bühne. „Onder Anderen“ aus Leeuwarden (Niederlande) richtete sogar seine Choreographie danach aus.

Für die beteiligten SängerInnen war das Zürcher Chorspektakel wegen der offenen Aufnahme durch die Bevölkerung und der mitreißenden Konzerte eine Art schwul-lesbisches Woodstock. Dazu trug sicher auch die mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks durchgeführte Organisation bei. Und so mochte denn auch zunächst niemand wahrhaben, daß der Ausfall der Lichtanlage beim Galakonzert eine Panne war – paßte er doch so wunderbar in den Dialog von Hella von Sinnen mit dem Lesbenchor Zürich, in dem es gerade um die Frage ging, wieweit die Chormitglieder sich als Lesben in der Öffentlichkeit bekennen würden. Auch Frau von Sinnen war schwer beeindruckt vom Festival: „Ich weiß nicht, wie schwul Zürich sonst ist. Aber ich denke, auch in jeder anderen Stadt wäre das, was hier heute los war, bemerkenswert. Ich finde es gut, wenn schwuler und lesbischer Kultur so viel Platz eingeräumt wird.“ Wobei sie sich jedoch einen Seitenhieb auf den „Ghostwriter“ von Staatsrat Gilgen nicht verkneifen konnte: „Dem sollte man vielleicht sagen, daß er beim nächsten Mal das Wort ,Toleranz‘ durch ,Akzeptanz‘ ersetzt.“