Queeres Leben in Deutschland: Einfach verkatert spazieren gehen

Im Heimatdorf unserer Autorin lassen queere Vielfalt und Repräsentation auf sich warten. Doch auch in Berlin ist es nicht so einfach wie gedacht. Ein politisches Statement wollen ihre Freundin und sie aber auch nicht ständig sein.

So sollte es sein: einfach morgens aufstehen und ausgehen ohne komische Blicke zu ernten. Foto: Hendrik Schmidt dpa

taz lab, 24.04.2023 | Von MALIN GEHRING

Neulich stand ich zwei Stunden in der Warteschlange des BVG-Kun­d:in­nen­centers am Alexanderplatz. In dieser Zeit hätte ich über meinen Umzug nach Berlin reflektieren oder meine Freun­d:in­nen anrufen können. Aber mit jeder Minute knurrte mein Magen lauter und die Chancen für einen Heulkrampf stiegen exponentiell. An diesem Tag war alles doof. Wetter doof, BVG doof, ich doof, Menschen doof, Berlin doof.

Jetzt, ein paar Tage später, sieht alles anders aus. Ein Beispiel für diese gar-nicht-so-doofen und eigentlich richtig-krass-schönen Dinge: mit meiner Freundin entspannt durch die Stadt zu schlendern und dabei andere queere Pärchen zu sehen. Das macht mich unglaublich glücklich und zuversichtlich! Das Dorf, aus dem ich komme, hat in Sachen queerer Vielfalt und Repräsentation noch sehr viel nachzuholen.

Malin Gehring schreibt gerne Textchen, studiert Politik- und Verwaltungs­wissen­schaften und arbeitet zurzeit bei der taz in der MKK-Abteilung.

Foto: Barbara Binner

Diese neu gefundene Zuversicht hat lange auf sich warten lassen. Nach dem Abitur bin ich das erste Mal nach Berlin gezogen. Ich dachte, dass hier meine einzige Zukunft liegt, weil meine Gedanken, Gefühle und Erwartungen zu groß sind für mein Heimatdorf.

Aber turns out: Überall gibt es Menschen, die einem sagen, „hier ist kein Platz für dich“. Deswegen musste und muss ich mir den Raum hart erkämpfen, den ich brauche. Denn mir steht verdammt viel Raum zu!

Lieben sollte kein politisches Statement sein

Am Anfang meiner Beziehung war mir nicht klar, wie wenig Raum uns als Paar zugestanden wird. Da waren sie und ich und alles andere war egal. Bald hat sich die Außenwelt unsanft bemerkbar gemacht. Ich fing an, immer mehr Blicke und Kommentare von Menschen im Vorbeigehen, oder von Bekannten wahrzunehmen.

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Ich habe nicht erwartet, ein politisches Statement damit zu setzen, wen ich liebe. Und ich möchte auch kein politisches Statement damit setzen. Natürlich werde ich nie aufhören, für queere Freiheit und Rechte zu kämpfen, aber ich will mich bewusst dafür entscheiden können.

Ich möchte nicht, dass ein Spaziergang mit meiner Freundin zu einem politischen Akt gemacht wird. Menschen sind so schnell damit – ob positiv oder negativ –, queeres Leben zu bewerten und zu politisieren. Vielleicht ist es utopisch, aber ich wünsche mir eine Realität, in der ich nicht für einen verkaterten Sonntagsspaziergang mit meiner Freundin gelobt oder geächtet werde.