Qualzucht von Haustieren: Was kommt nach dem Mops?
Um einen süßen Hund zu züchten, hat der Mensch dem Mops seine Nase und Gesundheit genommen. Lassen sich solche Fehler wiedergutmachen?
M it streng gescheiteltem Toupet beugt sich Loriot über sein Pult in einem nüchternen himmelblauen Studio und redet den Menschen ins Gewissen: „Am schlimmsten zeigt sich sein mangelndes Verantwortungsgefühl in der Schamlosigkeit, mit der er ganze Tiergattungen umzüchtete.“ Am ärgsten habe es den Mops getroffen, durch blinden Züchterehrgeiz habe dieser nicht nur seine Nase völlig eingebüßt, sondern auch die freiheitliche Würde seiner Vorfahren. Diese Würde bewahre allein – und hier wird Loriots Stimme wärmer – der scheue Waldmops; eine Art Mops mit Geweih, der im Einspieler des TV-Sketches von 1972 raubtierartig durch heimische Wälder galoppiert und Vögeln nachstellt.
Die echten Möpse dagegen wackeln mit ihren Glubschaugen schlecht geschützt durchs Unterholz und ziehen sich häufig Verletzungen zu. Bei einem heftigen Gerangel mit Artgenossen können sogar die Augäpfel aus der Höhle treten. Möpse röcheln und ringen nach Luft, weil ihre Nase sehr kurz ist und ihre Nasenlöcher und Rachen verengt sind. Die Medizin spricht von Kurzköpfigkeit oder Brachycephalie. Dazu gehört auch, dass Möpse ihre Körpertemperatur nicht gut regulieren können, an heißen Tagen und bei Überanstrengung haben sie ein hohes Risiko für einen Hitzeschlag.
Die Liste der Leiden ist lang, und der Mops ist kein Einzelfall: Ein EU-Bericht aus dem Jahr 2023 schätzt, dass in Europa 18 Millionen Hunde, 22 Millionen Katzen und 4 Millionen Kleintiere wegen extremer äußerer Merkmale in ihrer Gesundheit und Lebensqualität eingeschränkt sind. Demnach wäre in Deutschland gut jeder vierte der rund 10 Millionen Hunde betroffen. Der Tierpathologe Achim Gruber listet in dem Buch „Das unterschätzte Tier“ über vierhundert ganz oder teilweise genetisch bedingte Leiden auf. Allein bei den zwanzig beliebtesten Hunderassen finde sich davon der Großteil. „Die Liste wird vom Deutschen Schäferhund mit 77 Erbschäden angeführt“, schreibt Gruber, „dicht gefolgt von Boxer, Golden Retriever und weiteren Lieblingsrassen.“
Dabei könnten wir erst am Anfang einer verhängnisvollen Entwicklung stehen, warnt Gruber. Denn all die Krankheiten führt er auf die extreme Formenvielfalt zurück, die die Züchtungen hervorgebracht haben. Wie im Kaufhaus lässt diese Warenvielfalt auch auf dem Heimtiermarkt die Kassen klingeln, und der ist immens gewachsen: Sieben Milliarden Euro gaben Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr für ihre Haustiere aus; zwei von drei Familien mit Kindern besaßen mindestens ein Haustier. Folgt man Gruber, dann könnten Zoohandlungen der Zukunft auch mit lauter langbeinigen Lurchen, federlosen Vögeln und muskelbepackten Hamstern aufwarten. Dass bislang der Hund mit 368 Rassen so vielgestaltig gezüchtet ist wie keine zweite Tierart und deshalb von Krankheiten geplagt, das könnte schlicht an der langen Vorgeschichte liegen, auf die moderne Hundezüchter aufbauen können, sagt Gruber.
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Der Blick in die Geschichte vom Mops zeigt, dass mopsähnliche Schoßhunde es sich wahrscheinlich schon vor rund tausend Jahren in chinesischen Kaiserpalästen bequem machten. In Europa ist der Mops immerhin seit dem 16. Jahrhundert bekannt, erstmals in den Niederlanden. Der englische Barockkünstler William Hogarth malte seinen Mops mit feiner, aber deutlich abgesetzter Hundenase, dunklen Farbtupfern an den Ohren und treuen Augen, die ein wenig aus dem Schädel treten. Nur die heraushängende Zunge deutet deutlich auf den spätmodernen Rassemops hin.
Diese so wie andere Rassehunde laufen erst seit dem Deutschen Kaiserreich über die Bürgersteige. Weil die Tollwut unter den in den wachsenden Städten immer gedrängter lebenden und streunenden Hunden umging, führten Länder wie Bayern im Jahr 1876 erstmals eine Hundesteuer ein. So wurde der Hund zum Privileg der Reichen. Noble Hundeschauen und Zuchtvereine sprossen aus dem Boden, die seitdem über Stammbäume, Gesundheit und Aussehen wachen.
1888 macht hierzulande der Deutsche Doggen-Club den Anfang, fünf Jahre zuvor gründeten britische Mops-Fans den Pug Dog Club. Laut dem Historiker Amir Zelinger teilen im Kaiserreich viele Rassehundezüchter und adelige Milieus, in denen sie Abnehmer finden, eine Begeisterung für Rassentheorien und Eugenik. Während die Züchter immer neue Hunderassen kreieren und dafür extreme genetische Flaschenhälse in Kauf nehmen, verstehen sich viele in ihren Reihen eher als Restaurateure, etwa eines archetypischen Deutschen Schäferhunds.
Heute hätten Dobermänner mitunter eine Wahrscheinlichkeit von vierzig bis fünfzig Prozent, dass zwei von unterschiedlichen Eltern vererbte Gene vom selben Vorfahren stammen, sagt die Tiergenetikerin Hille Fieten. Damit wären sie so inzestuös wie Nachkommen zweier Klone. Dass sich die Krankheiten historisch immer mehr verschärft haben, verwundert auch deshalb, weil Krankzuchten mittlerweile längst verboten sind. Dem Tierschutzgesetz zufolge hätten röchelnde Möpse eigentlich schon in den 1980er-Jahren von der bundesdeutschen Bildfläche verschwinden müssen. Seitdem untersagt es der sogenannte Qualzucht-Paragraf, mit Tieren zu züchten, wenn die Haltung ihrer Nachkommen erwartbar „nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist“.
Doch die Regelung greift bis heute kaum, trotz Überarbeitungen. Denn die Veterinärämter müssen das Leiden bei jedem zur Zucht eingesetzten Tier medizinisch sehr aufwendig nachweisen und bei Einsprüchen der Züchter auch die Gerichte überzeugen.
Weil das bei einem Zuchtgeschehen mit jährlich Zehntausenden Hundewelpen faktisch aussichtslos ist, sah ein Gesetzesentwurf aus dem Landwirtschaftsministerium unter Cem Özdemir vor, schon konkrete Symptome wie Atemnot, Taubheit oder Lahmheit als hinreichenden Beleg für eine Qualzucht anzuerkennen. Der Vorschlag sollte den Ämtern die Arbeit erleichtern, scheiterte aber nach der ersten Lesung am Bruch der Ampelkoalition. Und der neue Agrarminister Alois Rainer von der CSU macht bisher keine Anstalten, den Entwurf aus der Schublade zu holen. Allerdings einigte sich Brüssel am Dienstag auf ein EU-weites Verbot von Hunde- und Katzenzüchtungen mit extremen äußeren Merkmalen. Dieses muss nun von Parlament und Rat gebilligt werden.
Für den Tierpathologen Achim Gruber muss das Prinzip der Reinrassigkeit in der Hundezucht aufgeweicht werden, ansonsten blieben die Schäden unumkehrbar. Er will krank gezüchtete Hunderassen wie den Mops mit anderen Hunderassen kreuzen. So könne man den Genpool erweitern und gesundheitsschädliche äußere Merkmale wieder abschwächen.
In den Niederlanden ist diese Vision schon Wirklichkeit, zumindest für kurzköpfige Hunde. Die Tiergenetikerin Hille Fieten von der Universität Utrecht und andere Expert:innen erarbeiteten sechs Kriterien, die seit 2019 die behördliche Regulierung der Züchter leiten. Eines der Kriterien fordert, die Nase müsse mindestens ein Drittel der Kopflänge messen. Das ist eine einfache Regel, die sich mit dem Lineal prüfen lässt; aber auch eine Hürde, über die wohl kaum ein reinrassiger Mops springen kann. Daher waren übergangsweise auch Kreuzungen von kurznasigen Möpsen und gesünderen Hunden erlaubt.
„Schon nach einer einzigen Generation kommen Tiere mit einer ausreichend langen Nase zur Welt, die nicht mehr röcheln und deren Augen nicht herausfallen“, sagt Fieten. „Viele Züchter in den Niederlanden bestehen aber auf dem heutigen Aussehen und der Reinrassigkeit. Selbst der Hundezuchtverband hat sich anfangs nicht an das Gesetz gehalten, mit einer Klage ist er aber kürzlich gescheitert.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Fieten weiß recht genau, was die Gesetzesnovelle bisher gebracht hat. Denn die niederländischen Kliniken registrieren jeden jungen kurzköpfigen Hund und seine Rasse, und bei ihr laufen die Daten zusammen: Bei der Hunderasse Shih Tzu ist die Nase seit 2019 kräftig gewachsen, sagt sie, bei Französischen Bulldoggen hat sich dagegen nur wenig getan. Einige Züchter halten sich nicht an die Vorschriften und nehmen verhängte Bußgelder in Kauf. Nun kommen die ersten Fälle vor Gericht.
Ein Teil des Problems: Die Kriterien sind zwar bei einzelnen Zuchthunden leicht zu überprüfen, aber die gelockerten Regeln, die in der Übergangsphase für Kreuzungen gelten, hebeln die Klarheit und Transparenz wieder aus. Denn welche Hunde am Ende für die Zucht eingesetzt werden, können die Ämter nicht überwachen. So bleibt es eine Frage des guten Willens, ob Züchter die Möpse mit gesunden Hunden kreuzen.
Hille Fieten glaubt, dass Veterinäre helfen könnten, den Markt in Schach zu halten: „Die Hälfte der Zeit schlagen wir uns in den Tierkliniken ohnehin mit Krankheiten herum, die aufgrund des Erbguts oder Körperbaus entstehen.“ Man müsse den tierärztlichen Beruf neu erfinden, den Schwerpunkt in die Prävention verlagern, meint sie.
Dank rasanter Fortschritte in der Hunde-Genforschung sei eine effiziente Kontrolle technisch endlich machbar. „Wir können Genmutationen nachweisen, die festlegen, wie ein Hund aussieht“, etwa welche Gestalt sein Kopf habe. Durch eine DNA-Analyse bei den Welpen können Tierärzt:innen künftig zweifelsfrei klären, ob es in der Hundezucht mit rechten Dingen zugeht. Dann, so darf man hoffen, könnte der Mops schon sehr bald wieder frei atmen. Zumindest in den Niederlanden.
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