Putsch gegen Beck: Die Rückkehr der Reformer
Mit den Wechseln an ihrer Spitze knüpft die SPD wieder an ihre eigene Reformpolitik an. Das neue Duo könnte auch das Verhältnis zur Linkspartei entkrampfen.
Es ist der zweite Putsch in der 145-jährigen Geschichte der Partei. Vor 13 Jahren stürzte Oskar Lafontaine den Parteivorsitzenden Rudolf Scharping auf der offenen Bühne des Mannheimer Parteitags. Am Sonntag ergriff Außenminister Frank-Walter Steinmeier in den Hinterzimmern eines brandenburgischen Tagungshotels nach langem Zögern die Kanzlerkandidatur - und führt dadurch den Rücktritt des Parteivorsitzenden Kurt Beck herbei. Nachfolger wird dessen eigener Vorvorgänger Franz Müntefering.
Geführt wird die SPD damit nach dreijähriger Orientierungsphase wieder von zwei Politikern, die wie niemand sonst für die umstrittene Reformpolitik des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder stehen. Frank-Walter Steinmeier konzipierte dessen Agenda 2010 an seinem Schreibtisch im Kanzleramt. Franz Müntefering verstand fast als Einziger, mit Leidenschaft just diese Politik in die Traditionslinie der Sozialdemokratie zu stellen - und machte sich bei den Gegnern dieser Linie umso mehr verhasst.
Der Wechsel an der SPD-Spitze gerät damit zu dem Eingeständnis, dass die Absetzbewegungen von Schröders Agendapolitik erfolglos waren. Mit dem herannahenden Bundestagswahlkampf zeichnete sich zuletzt immer klarer ab: Eine Partei kann in eine solche Auseinandersetzung nicht mit der Aussage ziehen, sie habe in der Zeit ihrer letzten Kanzlerschaft das Wesentliche falsch gemacht.
Die einzige Chance der Partei liegt darin, an der Agenda nicht zu rühren, sondern auf andere Themen auszuweichen, das Fordern auf sich beruhen zu lassen und das Fördern endlich ernst zu nehmen. Das war ihr mit der Mindestlohndebatte schon fast gelungen. Das schließt eine Kooperation mit der Linkspartei nicht aus, es eröffnet dafür sogar inhaltliche Schnittmengen.
Anders als unter dem zuletzt als links geltenden Beck könnte sich das Verhältnis zur Linkspartei entkrampfen, weil dem neuen Spitzenduo niemand unterstellt, in möglichen Bündnissen sozialdemokratische Überzeugungen preiszugeben. Nur so kann sich die SPD aus dem Chaos ihrer widersprüchlichen Aussagen zum Thema Linkspartei befreien, die zuletzt alle Debatten der Partei beherrscht hatten. Beck wäre dazu nicht mehr in der Lage gewesen. Sein Fehler lag nicht so sehr im Kursschwenk vom Februar, als er grünes Licht für eine Tolerierung in Hessen gab, sondern darin, dass er - anders als Müntefering - solche Bündnisse in Westdeutschland kategorisch ausgeschlossen hatte.
Trotz der schlechten Umfragewerte für die SPD ist Steinmeier mehr als ein Zählkandidat. Im Fünfparteiensystem hängt die Kanzlerschaft von der Koalitionsfähigkeit ab, nicht so sehr von der Stimmenanzahl. Steinmeier steht für die Option einer Ampelkoalition, aber auch für eine Fortsetzung des Bündnisses mit der CDU. Eine zumindest rechnerische linke Mehrheit steht dabei als Drohkulisse stets im Hintergrund. Das weiß die CDU, deshalb hat sie vor Wochen schon mit einer Plakatkampagne versucht, Steinmeier in das Hessen-Debakel hineinzuziehen.
Gescheitert ist der Vorsitzende Beck nicht an provinzieller Herkunft oder fehlendem Hochschulabschluss. Beides hätte sogar ein Vorteil sein können. Gescheitert ist er an dem pathologischen Verhältnis seiner Partei zu den Abtrünnigen der neuen linken Konkurrenz, das im Schlingerkurs des Parteichefs seine exakte Abbildung fand. Dass Beck nach Münteferings Rücktritt von der Vizekanzlerschaft nicht nach Berlin wechselte, kam nur erschwerend hinzu.
Der neue Vorsitzende wird nicht bruchlos dort anknüpfen können, wo er bei seinen Rücktritten 2005 und 2007 aufhörte. Zu viel ist in der Zwischenzeit geschehen. Die Beschlüsse des Hamburger Parteitags mit einer Teilrücknahme der Hartz-Reform, die Art und Weise, wie in Hessen die Debatte um ein Linksbündnis geführt wurde - das alles hat die Partei tief gespalten und bei der Parteilinken die Hoffnung auf ein Ende der reformerischen Zumutungen genährt.
Andererseits hat Becks Scheitern das Projekt Linksschwenk gründlich diskreditiert. Das Bedürfnis nach Führung und neuer Begeisterungsfähigkeit ist groß - innerhalb der SPD wie bei ihren enttäuschten Anhängern. Jeder der zahlreichen Vorsitzenden im zurückliegenden Jahrzehnt, Schröder vielleicht ausgenommen, ist mit großer Euphorie gestartet. Meist hat sie allerdings genauso schnell wieder nachgelassen.
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