: Puppe
Unser Autor Robert Walser zur Puppen-Frage ■ Schaut mich bitte einmal an,
findet ihr mich nicht gediegen.
Puppe bin ich, ungemein
interessante Augen hab‘ ich,
die zwar nur aus Glas bestehen,
folglich leider nicht viel taugen. (...)
Puppen schweigen wie die Fische.
Lachen, weinen kann ich nicht.
Schmerz und Freude, Haß und Liebe
überlasse ich den Menschen,
die bekanntlich nur zu hurtig
in Empfindlichkeit geraten.
Irgendwelchen Änderungen
bin ich immer unterworfen,
lasse mich durch nichts beirren,
bin durchaus nicht zu erschüttern,
spüre, denke, fühle nicht das
mindeste und bin apathisch
gradezu im höchsten Grade.
Puppen aus der Ruh‘ zu schrecken,
dürfte schwerlich je gelingen.
Ständig sieht man mich dieselbe
sonderbare Miene schneiden.
Seele hab‘ ich nie besessen,
Rührung liegt mir gänzlich fern,
bin an Unbeweglichkeit
sozusagen ein Phänomen,
welch ein schändliches Geständnis!
Zeichnet etwa eine Puppe
durch Lebendigkeit sich aus?
I bewahre, ich beruhe
ja ganz einfach nur auf Täuschung.
Kinder wissen mich zu schätzen;
ihnen bin in jeder Hinsicht
ich als Spielzeug hochwillkommen,
können sich mit mir beschäft'gen,
weil sie Phantasie besitzen.
Die Erwachsenen dagegen
fühlen sich auf alle Fälle
mir gegenüber sehr erhaben.
Das hat freilich seine Gründe,
denn ich bin im allgemeinen
unbeschreiblich unbehilflich.(...)
O die Kleinen sind um vieles
klüger als die Großen meinen.
Robert Walser, 1878-195
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