Punkband The Fall in Berlin: Aufhören? Niemals!
Nicht mehr ganz so punkig, nicht mehr ganz so scharf, aber dafür mit Nähe zum Publikum: The Fall ist älter geworden, aber nicht weniger sarkastisch.
Oktober 1977: The Fall debütieren im Electric Circus in Manchester, einem Club, in dem die gloriose, hyperaktive, euphorische Punk-Energie jener Zeit explodierte. Ein Ende und ein Anfang: Auf dem Sampler „Short Circuit: Live at the Electric Circus“ erscheinen die ersten beiden Songs „Stepping Out“ und „Last Orders“ von The Fall. Rumpelige, aber hypnotische Popmusik, irgendwie tanzbar, aber worum sich alles dreht, ist diese sarkastische Stimme von Mark E. Smith, die beißenden Wortwitz hinrotzt gegen alles und jeden. Fast ein Poetry Slam, anders, fresh, aber markant.
Um Smith’ Stimme scharten sich schon so viele MusikerInnen, dass man ein aufwendiges Diagramm benötigt, um die Personalfluktuation darzustellen. Noch immer finden sich Mitstreiter, die mit Mark E. Songs aufnehmen und auf Tour gehen, obwohl er bekannt dafür ist, seine Kollegen onstage und offstage zu malträtieren. Mit schluderiger Stimme beschreibt er in einem Intro auf dem letzten Album, „Sublingual Tablet“, den aktuellen Fall-Sound: „very tight rock with a lot of experimental stuff from Elena, my wife“.
Die Keyboardsounds von Marks zweiter Frau Elena (die Memoiren von Gitarristin Brix, seiner ersten Frau, erscheinen im Juli) sind eine echte Bereicherung, aber experimentell ist wirklich nichts an dieser durchschnittlichen punkigen Rockmusik. Die neue EP, „Wise Old Man“, besteht aus „Tablet“-Songs, Remixen und einigen neuen Stücken.
Wen interessieren The Fall, 40 Jahre nach „Stepping Out“? Die Schlange vor dem Berliner White Trash ist lang, obwohl das Konzert sehr kurzfristig anberaumt wurde, und drinnen im brechend vollen, neu eröffneten „Ballroom“ (Live-Musik und Restaurant sind jetzt getrennt) werden es mindestens 700 Fans sein, bestehend aus gereiften Music Lovers und aus hippem Jungvolk – das mit retro nichts im Sinn hat.
Makellose Anzughose
The Fall seien eine zeitgemäße, sehr gute Band, deren Stil nie stehen bleibt, und jedes Konzert sei anders, ist zu erfahren. Auf meinen Einwand, dass die Texte nicht mehr scharf und präzise, sondern eher dahingenölt sind, werde ich belehrt, dass auch Smith’ Stil nicht gestrig bleibt, sondern sich mit der Zeit verändert habe. Viele Fans sind eigens aus England angereist, Mark E. Smith und Berlin, da kann man nicht widerstehen.
Dann ist da auch ein Berliner Musiker, der schon 1980 in der Spex über The Fall geschrieben hat. Diese Mischung aus alt und jung findet sich auch in der Bandbesetzung wieder. Die Stimmung auf der Bühne ist am Samstagabend entspannt, wummernder Bass und Keyboards (die besser noch lauter gewesen wären) machen Laune, und Mark E. macht eine souveräne Figur in makelloser Anzughose und Hemd, gut gelaunt, seinen Gitarristen scheint er geradewegs zu mögen.
Natürlich werden nur neue Songs gespielt. Vorne reihenweise begeisterte Fans, die Texte mitskandieren, eine Art Pogo findet statt. Der Auftritt hat nicht die Energie eines „Totally Wired“ von 1981, und Smith’ Markenzeichen, das pointierte Hinausziehen jeder einzelnen Phrase, verschlingt inzwischen ganze Sätze. Aber sein Charisma regiert den Raum. Er sucht die Nähe zum Publikum, reicht ein Mikro herunter.
Als es nach etwa einer Stunde anfängt durchzuhängen, ist das Konzert auch schon zu Ende. Die Zugabe: 20 Minuten der besten Songs des Abends, zuletzt „Mr Pharmacist“, Mitsingmaterial erster Güte, fast schon ein Hit. „I don’t sell out“, sang Mark E. Smith 1977 in „Last Orders“. Wie wahr. „Aufhören? Warum sollte er?“, fragt mich ein Fan entsetzt. Wie muss das sein, 40 Jahre lang den Geschmack von Metall im Mund, wenn man fast hineinbeißt in die (inzwischen zwei) Mikrofone, die man sich ins Gesicht hält.
Wise Old Man? Vielleicht. Aber Integrität? Tonnenweise.
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