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Punjab: Vor einer neuen Verhandlungsrunde?

■ Der neue Sprecher der militanten Sikhs, ehemals deren eloquenter Auslandspropagandist und jahrelang in Indien in Haft, ist der Hoffnungsträger für eine politische Lösung des Punjab–Konflikts / Die indische Zentralregierung scheint bei Entgegenkommen der Militanten zu weitgehenden Zugeständnissen bereit zu sein

Von Uwe Hoering

Er gleicht Jarnail Singh Bhindranwale, dem einstigen Führer der orthodoxen Sikhs, aufs Barthaar - die gleichen stechenden Augen, eine markante Nase, das lange Schwert in der Hand. Wie damals, als Bhindranwale im Goldenen Tempel in Amritsar Hof hielt, gibt ihm eine Gruppe entschlossen aussehender Jugendlicher mit AK–47–Gewehren Schutz und Staffage. Der neugekürte Sprecher der militanten Sikhs heißt Jasbir Singh Rode, 34, ein Neffe Bhindranwales. Seit kurzem ist er als jathedar des Schreins Akal Takht im Goldenen Tempel ranghöchster Religionsführer der Sikhs. Rode, Prediger wie Bhindranwale und Gründer der militanten „International Sikh Youth Federation“ in London, war jahrelang einer der eloquentesten Auslandspropagandisten der Militanten, bis ihn indische Agenten auf den Philippinen verhaften ließen. Die vergangenen zwei Jahre verbrachte er in Einzelhaft. Ausgerechnet er ist gegenwärtig der Hoffnungsträger für eine politische Lösung des Punjab– Konflikts. Seine Freilassung vor drei Wochen gilt als der wichtigste politische Schachzug der indischen Zentralregierung seit dem inzwischen gescheiterten Abkommen über eine Beilegung des Konflikts, das Premierminister Rajiv Ghandi und der Sikh–Politiker Longowal im Sommer 1985 abschlossen. Sie ist ein Eingeständnis, daß an Verhandlungen mit den Militanten kein Weg mehr vorbeiführt, nachdem alle anderen Optionen unterhalb des Armee–Einsatzes gescheitert sind. Rode gilt als möglicher Vermittler. Zehn Jahre Blutvergießen Es war Onkel Bhindranwale, der vor genau einem Jahrzehnt für den Auftakt des blutigen Reigens im Punjab sorgte. Als Chef des Damdami Taksal, einem orthodoxen Predigerseminar, hatte er einen blutigen Feldzug gegen Abtrünnige vom reinen Sikhismus begonnen, bei einem blutigen Zusammenstoß mit Anhängern der Reformsekte der Nirankaris am 13. April 1978 kamen 13 Menschen ums Leben. Anhänger des Propagandisten einer Sikh–Renaissance wurden vor allem arbeitslose Jugendliche, die nach ihrer Ausbildung keinen Job fanden, und Kleinstbauern mit Existenzsorgen. Seine Botschaft war dharam yudh, dem gerechten Krieg für die Sikh–Vorherrschaft im Punjab, versprach ihnen nicht nur Knarren und Abenteuer, sondern auch die Ausschaltung der Hindu–Konkurrenten um Arbeitsplätze. Politisch brisant wurde es im Punjab jedoch erst, als 1981 die Sikh–Partei Akali Dal, die Interessenvertretung der kapitalistischen, durch die Grüne Revolution wohlhabend gewordenen Sikh–Bauern, eine Massenkampagne zivilen Ungehorsams startete, die sie an die Schalthebel der Macht im Punjab bringen sollte. Im Mittelpunkt standen politische und wirtschaftliche Forderungen: mehr Wasser für die Landwirtschaft und der Anschluß der Stadt Chandigarh an den Punjab, die sich der Bundesstaat bis heute mit dem Nachbarn Haryana als Hauptstadt teilen muß. Die Herren von der Akali Dal ließen sich auf eine riskante Gradwanderung ein: einerseits suchten sie Verhandlungen mit der Zentralregierung, andererseits umwarben sie die Militanten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die ehedem gemäßigten Forderungen wurden nun fundamentalisiert: Vorherrschaft der Sikhs in einem autonomen Punjab. Bis zur Forderung der Militanten nach einem eigenen Staat Khalistan war es nur noch ein kleiner Schritt. Doch der Schuß ging nach hinten los. Aus der unheiligen Allianz sind die Militanten längst als Sieger hervorgegangen, sie erwiesen sich als ausgekochter, kompromißloser. Immer weniger bestimmten die Gemäßigten, die Zug um Zug aus den moralischen und politischen Autoritätsinstanzen der Sikh–Gemeinschaft, aus den Tempelvorständen, den Selbstverwaltungsorganen und den wohlhabenden Wohlfahrtseinrichtungen verdrängt wurden, den Lauf der Dinge. Mit Terror und fundamentalistischer Rheto rik gegen den „whiskytrinkenden Verräter an der Sikh–Sache“ wurden die kompromißbereiten Politiker mürbe gemacht, mit Massakern an Hindus ihre Verhandlungen mit der Regierung in New Delhi torpediert. Während Bhindranwale, der bei Operation Bluestar, der Armee–Aktion gegen den Goldenen Tempel im Juni 1984, fiel, heute von vielen Sikhs als Märtyrer betrachtet wird, präsentieren sich die Akali–Dal–Politiker als demontierter, in zerstrittene Fraktionen gespaltener Haufen, dessen Fähigkeit, die Militanten zu kontrollieren, noch geringer ist als sein Wille dazu. Sein Wert als Verhandlungspartner ist damit für die Zentralregierung auf Null gesunken. Der letzte Strohhalm Aber auch die „Polizeilösung“, die seit der Absetzung der Landesregierung vor knapp einem Jahr Vorrang erhielt und zahlreichen echten und mutmaßlichen Militanten das Leben kostete, hat nur geringe Erfolge gebracht. Zwar tragen manche Militante inzwischen aus Furcht vor brutalen Polizeiverhören Zyanidkapseln bei sich, doch geschlagen sind sie längst nicht, wie die jüngsten Massaker zeigen, die, einer irren Logik folgend, eine Flüchtlingswelle auslösen und damit die Mehrheitsverhältnisse im Punjab zugunsten der Sikhs verschieben sollen. Konsequent fordert Julio Ribeiro, der mächtige Polizeichef, denn auch seit langem eine politische Lösung, da die Polizeistrategie allein zum Scheitern verurteilt sei: „Wir sollten alles versuchen, abgesehen von Khalistan, um Frieden zu bekommen.“ Vielleicht ist Rode der richtige Mann dafür. Er genießt vorerst das Vertrauen der Militanten. Bei seinem Amtsantritt überreichten ihm alle bewaffneten Gruppen die siropa, ein geweihtes Stück Stoff, als Zeichen, daß sie ihn als Sprecher des Glaubens akzeptieren. In New Delhi hofft man, daß Rode seinen Einfluß zur Vermittlung nutzt, eine Hoffnung, die sich auf sein moderates Auftreten nach seiner Freilassung, aber wohl auch auf Gespräche während seiner Haft gründet. Die Zentralregierung scheint zu weitgehenden Zugeständnissen bereit. Zugesagt ist ein Entwicklungsprogramm für den Punjab, das unter anderem Steuererleichterungen und Vergünstigungen vorsieht. Bei Entgegenkommen der Militanten könnten als weitere Schritte die Ansiedlung einer Raffinerie und eines Agro– business–Konzerns folgen ebenso wie die seit langem geforderte Freilassung von inhaftierten Sikhs, und schließlich ein Sonderstatus für den Punjab, vergleichbar dem des mehrheitlich muslimischen Kashmir. Es ist allerdings die Frage, ob die Zentralregierung noch jemanden findet, der ihr ein solches Paket von Versprechungen abnimmt. Zu oft hat sie Verhandlungen platzen lassen und Zusagen nicht eingehalten. Und noch weiß niemand, ob Rode die Militanten dazu bewegen kann - und will -, sich mit weniger als Khalistan zufriedenzugeben. Jagir Singh von der Kommando–Streitmacht–Khalistan zum Beispiel relativiert bereits Rodes Einfluß: „Wir werden ihm folgen, solange seine Anordnungen der Sikh–Tradition entsprechen.“ Was diese „Sikh–Tradition allerdings ist, das bestimmen die Militanten mittlerweile selbst.

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