Publizisten diskutieren über Chancen der Globalisierung: Neugestaltung von unten
Herr Habermas, solidarisieren Sie sich! An der Berliner Akademie der Künste diskutierten Publizisten über ein Ende der Globalisierung und Möglichkeiten für neues solidarisches Handeln.
Trauer, so heißt es, verlaufe vom Schock über die Empörung hin zur Identifikation mit dem Verlorenen. Beobachtet man dieserzeit die Rede über das mögliche Ende des neoliberalen Kapitalismus, so scheint es manchmal, als würde er betrauert. Am Anfang stand der Schock. Nicht nur Kapitalismuskritiker, auch Antikapitalisten verfielen ins Schweigen, überwältigt vom großen Zusammenbruchsereignis. Es folgte die Empörung über die bevorstehende Lastenverteilung, die, so die nahe liegende Annahme, nur auf Kosten der Schwächsten gehen könne. Schließlich scheinen wir im Stadium der Identifikation angelangt. Oder wie anders sind die vielen Stimmen zu deuten, die behaupten, mit der Finanzkrise sei unsere gesamte Zivilisation in die Krise geraten?
Wenn die Krise des Neoliberalismus, dessen Anfälligkeit man voraussagen konnte, ohne als schamanischer Visionär zu gelten, die Gesellschaft in solch einen Abgrund stürzen soll, dann muss ja umgekehrt die Annahme gegolten haben, dass wir uns mit der entfesselten Profitmaximierung auf der Höhe der möglichen gesellschaftlichen Entwicklung befanden. Das wiederum klingt nicht nur für Antikapitalisten komisch, verrät aber im Kern eine Identifikation mit einer immer wieder verlautbarten Wohlstandsgläubigkeit.
Am Montagabend in der Berliner Akademie der Künste war man skeptischer. Franziska Augstein, Feuilletonredakteurin der Süddeutschen Zeitung, wollte von ihren Podiumsteilnehmern Vorschläge für die Gestaltung einer besseren Welt. Das klang nach dem Willen, die Krise als Chance zu begreifen und über mehr als nur anstehende Reparaturarbeiten zu reflektieren.
Bei Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, Harald Schumann, Redakteur des Tagesspiegels, Markus Ederer, Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, und dem Schriftsteller Mathias Greffrath herrschte Einigkeit darüber, dass wir es nicht bloß mit einer Krise im System, sondern mit einer Krise des Systems als solchem zu tun haben. Ob daraus nun gleich ein Ende der Globalisierung resultieren würde, so die titelgebende Frage der Veranstaltung, klang zunächst einmal absurd. Über den grundlegenden Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Weltmarkt klärte uns bereits Karl Marx auf: Der Kapitalismus hat die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet und damit bereits im 16. Jahrhundert die "moderne Lebensgeschichte des Kapitals" eröffnet. Das ist ein immanentes Gesetz.
Dennoch warnte Harald Schumann vor einer bevorstehenden Deglobalisierung und begriff die bereits jetzt zurückgehenden Investitionen in Schwellenländer als Rückschlag für die globale Integration. Die grundlegende, strukturelle Verschiebung, die mit weiteren Krisen und einer eventuellen Massenarmut verbunden sein könne, sei durch eine drohende Renationalisierung der Politik nicht zu bewältigen. Das setzt ein nicht bloß negatives Verständnis von Globalisierung voraus.
So verlangte auch Mathias Greffrath nicht ihr Ende, sondern hoffte auf das Ingangkommen eines Lernprozesses, der eine gerechtere Gestaltung von Globalisierung hervorbringe. Was jedoch nur gelingen könne, wenn die kritischen Gerechtigkeitsdiskurse gegenüber dem Ordnungswillen der gestaltungsdominanten Eliten nicht ins Hintertreffen gerieten.
Klaus Staecks erste Reaktion auf das mögliche Ende des Neoliberalismus war von Freude begleitet, daraus machte er kein Geheimnis. Gefolgt von Angst, dass da ja nun der Staat mit hineingezogen würde und der Frage, wie das alles in einer demokratischen Struktur wieder aufgefangen werden könne. Das klang naiv, fanden die ökonomischen Prozesse doch ihren Rückhalt in einer Politik, die der Finanzökonomie uneingeschränkte Rechte eingeräumt hatte. Dafür steht die Aufhebung des Bretton-Woods-Abkommens der festen Wechselkurse und Kapitalverkehrskontrollen im Jahre 1973.
Dementsprechend forderte Schumann die Rückführung der Finanzindustrie auf ihre eigentliche Funktion, nämlich Dienstleister für die Realökonomie zu sein. Markus Ederer propagierte den Übergang von der ökonomischen zu einer politischen Globalisierung. Dass ein neuer Gerechtigkeitsdiskurs den Kapitalismus grundlegend in Frage stellen darf, erfuhr bei ihm eine klare Einschränkung. Im technokratischen Jargon eines Berufspolitikers verlangte er Demut vor dem begrenzten Instrumentarium, das zur Verfügung stehe. In dieser Perspektive kann es um nicht viel mehr als die Reformierung des IWF gehen.
Der Staat ist zurück auf der Bühne, das ist klar. Dass seine Rolle jedoch nicht einfach die des wohltätigen, von den Finanzkräften überrannten Retters ist, gerät immer wieder ins Vergessen, wenn Schuldzuweisungen an böse Manager erklingen, wie es auch Ex- Staatsminister Michael Naumann im Publikum tat.
Am Ende blieb der Ruf nach einer Stärkung der Zivilgesellschaft. Wie ist diese zu bewerkstelligen? Wenn, so der Vorwurf Greffraths, gar die intellektuelle Elite versage? Habermas beispielsweise. Er habe es versäumt, sich mit NGOs wie Attac zu solidarisieren. Aber was sagt es über den Zustand einer Gesellschaft aus, wenn ihre Elite nach einem Großintellektuellen, einem Gewissen der Nation verlangt? Ist es die Angst vor der populistischen Rache der Subalternen? Sucht man nach einem sozial verträglichen Einspruch, nach der sanft mahnenden Stimme, die trotz allen Protests das Maß nicht überschreitet? Nein, die Zeit des mahnenden Intellektuellen ist vorbei. Was wir brauchen, ist eine Neugestaltung der Globalisierung von unten.
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