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Public Viewing zum Wulff-Rücktritt"Wulff ist Opfer"

Der Bundespräsident tritt zurück und Deutschland schaut zu. Zum Beispiel in einem Döner-Restaurant in Berlin-Kreuzberg. Hier hört man erstaunliche Aussagen.

Tritt nicht zurück: Dönerspieß. Bild: dapd

Kurz vor elf Uhr läuft im Orient Eck am Kottbusser Tor Fußball. Der Dönerspieß hinter der Theke ist dick und rund so früh am Tag, frisch aufgeschichtet liegen Zwiebelringe hinter der Theke. An den Tischen sitzen die ersten Gäste vor Linsensuppe und Brot, vor dem Dönerspieß steht Cihan Kuzay. "Wulff tritt gleich zurück?", fragt er und sieht seinen Vater an, der neben ihm Tomaten schneidet. "Das glaube ich nicht."

Der Fernseher hängt oben in der Ecke, Kuzay schaltet um, Wulff soll gleich live zu sehen sein. "Der ist doch gut, der Bundespräsident", sagt Kuzay, er hat ein breites Kreuz und trägt ein lila T-Shirt mit dem Logo des Orient Ecks. Was die ihm alle vorwerfen, sei lange her. Und jetzt soll er weg wegen dem, was früher war? "Das ist Deutschland", sagt Kuzay und schüttelt den Kopf.

Kuzay ist Deutscher, er ist 32 Jahre alt. Er arbeitet im Döner-Restaurant der Familie, seit er die Schule verlassen hat. Kuzay geht wählen, er liest Zeitung, er sieht fern, aber so richtig kann er jetzt doch nicht erklären, warum er Wulff eigentlich gut findet. Wegen der Sache mit dem Islam vielleicht?

Quatsch, sagt Kuzay. Natürlich gehöre der Islam zu Deutschland, und das schon lange vor Wulff. "Aber seine Partei war dagegen", mischt sich ein Gast ein, der eine Suppe zum Frühstück bestellt. Auch Kuzays Vater, der Eigentümer des Orient Ecks, vermutet hier den Grund für einen möglichen Rücktritt: "Vielleicht", sagt Mahmut Kuzay und lächelt freundlich, "haben sie ihn deshalb unter Druck gesetzt."

Es ist kurz nach elf, als draußen ein paar Sonnenstrahlen durchs Grau kommen und in Kreuzberg auf dem Fernseher verfolgt wird, wie Wulff ein paar Kilometer weiter nordwestlich zum Rednerpult tritt. Der Ton wird aufgedreht, für einen Moment verstummen die Gespräche im Orient Eck. "Aus diesem Grund wird es mir nicht mehr möglich sein, das Amt des Bundespräsidenten nach innen und nach außen so wahrzunehmen, wie es notwendig ist", sagt Wulff. "Ich trete deshalb vom Amt des Bundespräsidenten zurück."

Erwartbarer Rücktritt

Cihan Kuzay schüttelt den Kopf, er dreht den Ton wieder aus. "Wulff ist Opfer", sagt er, was solle der denn auch machen, wenn alle auf ihm rumhacken. Pillepalle sei das: Hochzeitsreise, Urlaub. "Von denen ist doch keiner sauber!", sagt er. Und jetzt?

"Gauck", sagt der Gast, der zum Frühstücken gekommen ist. Veli Kaya lebt seit 30 Jahren in Berlin, aber wählen darf er nicht, weil er kein deutscher Staatsbürger ist. Er habe gehört, dass Joachim Gauck wieder im Rennen sei. Wulffs Rücktritt, sagt er, sei doch erwartbar gewesen: "So viele Lügen, und dann war er immer noch da." Wie dieser Bürgermeister sei Wulff gewesen, der mit der Love Parade. "Auf türkisch sagt man: Die sind aus demselben Holz geschnitzt." Auf deutsch auch, meint einer am Nebentisch.

Der einzige Politiker, der jetzt noch gut ist, sei Wowi, findet Kuzay: "Der Mann ist ein Arbeiter." Und dann, gegen Mittag, kommen die Kunden. Kuzay kann jetzt nicht mehr über Wulff reden, es ist alles gesagt. Die Kunden gehen vor.

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20 Kommentare

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  • L
    Lincoln

    Ja Wulff ist ein Opfer und zwar ein Opfer seiner eigenen Wertmaßstäbe, die er an andere Politiker seit Beginn seiner Politikerkarriere angelegt hat. Er hat sich quasi dadurch zur Jagd selber frei gegeben.

     

    Und was seine Aussage zum Islam angeht, da hätte wohl vor seiner Rede ein Blick in die Quellen des Grundgesetzes, die wohl auch in der Bibliothek des Bundespräsidialamtes vorhanden sind, ihn eines besseres belehren können.

     

    Es ist wieder das typische Muster, wenn bei Muslimen der leiseste Verdacht aufkommt, das der Islam eine Rolle spiele, dann stellen sie sich in die Opferecke, anstatt einmal darüber nachzudenken wieso in bestimmten Fällen der Islam mit dem Grundgesetz und der in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Werteordnung kollidiert. Anstatt in der Ecke zu stehen, sollten die Muslime einmal offen mit den Problemen umgehen, die den Islam in den letzte Jahren immer weiter in Verruf gebracht haben.

    Ein positives Beispiel für einen offenen Umgang mit solchen Problemen ist Cengiz Dursun http://www.primaverablog.de/

  • HW
    Hans Werth

    Ch. Wulff hat nach heutigem Wissensstand in seiner amtlichen Funktion als BP keine Fehler begangen - im Gegenteil sein Hinweise zu Islam, Israel, EU und anderen Politiken waren wohlüberlegt und gut! Abseits davon es persönliches Verhalten an der Grenze Job und Privat.

    Sein Verhalten in der Krise konterkarierte das bisher ‚aufgebaute’ und postulierte Persönlichkeitsbild. Die Tragik-Komik liegt auch darin, dass allenfalls dies „Nichts als die Wahrheit“ (s. Biographie) ist.

    Menschen dienen nie ausschließlich der Wahrheit in ihrem Handeln und Unterlassen. Möglicherweise spricht sogar das biologische Lebensprinzip gegen das Wahrheits-’Axiom’ … was bereits mit wissenschaftlichen Methoden „entlarvt“ wurde. Im Lichte aktueller Hirnforschung sind solche „Hirn-Gespinste“ allenfalls Material für die Enzyklopädie „Märchen, Sagen und Irrtümer“.

    Geht es bei CW um Beträge möglicher sog. geldwerter Vorteile, quasi auf der Moral-Goldwaage? Das ist trotz gewisser sozialer Relevanz eher sekundär. Primär geht es darum, die Sachverhalte zur Objektivierung auf den Tisch zu legen – bekanntlich eine Strafverteidiger-Strategie, die fast immer zur Urteils-Milderung führt, wenn es nicht um schwer kriminelle Handlungen geht, vor allem wenn sich der Beschuldigte glaubhaft (!) entschuldigt. Erst im jüngst gezeigten Verhalten von CW verbinden sich die kritisierten Verhaltensweisen zu einem schwer zu ertragenden Persönlichkeitshintergrund eines BP. So gesehen ist er allenfalls Opfer seiner selbst, wenn man Hr. Hintzes Fehler vom 12.02.2012 außer acht lässt.

    Trotzdem ist anzumahnen, im demokratischen Rechtsstaat wird eine gewisse Ordnung, aber keine vernichtende Rache bei Fehlleistungen, angestrebt.

    Das sog. Verteidigungsszenario von CW war sehr fragwürdig, eher unwürdig für einen Bundespräsidenten. Beschädigt ist also ausschließlich die Integrität der Person und nicht das Amt. Immerhin wacht die Administration Bundespräsidialamt auch darüber, dass amtlich „alles im gewissen Rahmen“ bleibt …

    Gibt es für die Nachfolge jene parteipolitische oder politische Neutralität? Ja, aber nur im nächsten Kapital der Enzyklopädie „Märchen, Sagen und Irrtümer“. Es gibt kein „neutrales“ Handeln oder Unterlassen irgendeiner Person, allenfalls könnte an ein nicht „primär parteipolitisches“ vorstellbar sein und „unpolitisch“ ist höchst politisch! Der Bundespräsident wird ausschließlich parteipolitisch gewählt, selbst (oder gerade) bei totalem Konsens aller Parteien. Parteipolitik ist doch Teil des Kerns unserer grundgesetzlich geregelten, repräsentativen Demokratie, in der vor allem Parteien die Politik organisieren.

  • P
    paukerNRW

    Wulffs Satz „der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ wird –so behaupten jedenfalls viele- von der Präsidentschaft Wulffs im Gedächtnis bleiben. Dass der ungebildete Teil der moslemischen Migranten dies so sehen, kann man ihnen nicht verübeln, dass aber auch durchaus Gebildete Deutsche diesen Satz für richtig und wesentlich halten ist mir schleierhaft. Der Islam ist nicht nur eine Religionsgemeinschaft, sondern auch eine politische Ideologie, die alle Lebensbereiche einschließlich der Scharia - ein nicht grundgesetzkonformes Rechtssystems- umfasst. Wie ein deutscher Bundespräsident einen solch missverständlichen Satz sagen kann, unsere Gesellschaft damit spaltet und dafür dann sogar gelobt wird ist mir unverständlich. Einem Satz wie „Die Bürger muslimischen Glaubens gehören natürlich inzwischen zu Deutschland“ würde der größte Teil unserer Bürger zustimmen, sagt viel klarer um was es geht und hätte die Spaltung der Gesellschaft weitgehend verhindert

  • O
    ole

    Wulff ist ein Opfer... müßte es heißen.

     

    Seine Taten in dieser Affäre sind ja nun bekannt.

     

    Aber es stimmt schon. Wulff ist auch Opfer. Opfer seiner eigenen Ignoranz und geglaubten Unantastbarkeit. Opfer seiner eigenen Überheblichkeit in Bezug auf moralische Ansprüche. Und er ist Opfer seiner Fehlinterpretation bezüglich der Affinität von Politik und Medien, insbesondere der Bild.

     

    Wulff ist Täter und zugleich sein eigenes Opfer.

  • EA
    Enzo Aduro

    @Hari Seldon

    Rettung?

     

    Es war wohl eher die Modellpolitik von Ferdinand Piëch die VW "gerettet" hat. In Verbindung mit den klugen Personalmodellen von Peter Hartz*. Mit Sicherheit aber nicht Herr Wulff.

     

    *Wer die Personalmodelle nicht kennt und nur über Hartz 4 ablestern will sollte sich vielleicht mal informieren, und auch wie die Höhe von Hartz 4 nach dem Plan von Peter Hartz war.

  • L
    Levent

    Dummer Artikel...

     

    Sehr flach geschrieben...

     

    Der Author dachte wohl, er muss es so flach schreiben, damit die "opfaaa" es auch verstehen...

     

    Kann man denn einen Bundespräsidenten mögen und darauf bestehen, dass er bleiben soll, ohne die Meinung vertreten zu müssen, dass er es tue, weil Wulff gut über den Islam gesprochen hat?

     

    Die "höheren Mächte" Deutschlands, der "tiefe Staat" (wie es in der Türkei gesagt wird) wollte ihn loswerden...

    Sei es wegen der Islam-Debatte oder auch wegen der ESM-Geschichte...

     

    Ich habe zu diesem Rücktritt nur eines zu sagen:

     

    "Der Klügere tritt zurück."

     

    Denn, wenn es die "höheren Mächte" schon wagen, ihm die Immunität abzuschreiben, kann alles weitere nur noch dem Ansehen der Bundesrepublik schaden.

    So gesehen ist er mehr Patriot als der Staatsanwalt.

  • ES
    Ey Sorry

    Kuzay ist Deutscher. Wulff muß zurücktreten weil die Deutschen ihn wegen seiner Islam-Äußerungen nicht wollen. Ja, die Türken haben es wieder mal begriffen. Noch ein großes Sorry an Veli Kaya wegen dem Nichtwählendürfen. Das ist echt fies. Immerhin darf er in seinem Land wählen, in dem man uns bestenfalls als Ungläubige nicht-umbringen würde wie die Armenier. Das tröstet hoffentlich etwas. Ja, das ist Deutschland. Noch mal sorry.

  • H
    herbert

    "Wulff ist Opfer" seiner selbst -Punkt.

    Dazu jetzt eine Migranten-Story zu bringen leistet der Legendenbildung Vorschub und ist völlig deplaziert.

  • HS
    Hari Seldon

    @stuttgarter:

     

    Bitte, vergessen wir auch die Unterstützung für VW nicht. Es gibt einige Spekulanten (auch in Deutschland: Bitte, denken wir nur an Meck), welche sehr viel Kohle verloren haben, und jetzt auf Rache sehr hungrig sind. Für die VW-Rettung sollte Wulff eigentlich die höchste Staatsorden erhalten.

  • B
    Bundespenner

    Papandreou hat grad nichts zu tun, nehmt den doch. Da kann er dann Drachme europaweit einführen, Euros sehen eh scheisse aus und Europa ist eh ein griechisches Wort. Griechische Sprache obligatorisch für alle wäre auch nicht schlecht, weil es derartig viele Begriffe gibt, die dann ganze Sätze oder Abschnitte auch noch vieldeutig bedeuten können. Das schärft das Intellekt und die deutsche Hetze geht dann nicht mehr so einfach.

    Aber eigentlich kann man sich das Amt auch einsparen, einen König ernennen oder einen Bundespenner von der Strasse. Wie wär's alle vier Wochen mit einem neuen Obdachlosen und anschliessend doppelte Grundsicherung?

  • DG
    der Graue Wuff

    In türkischen Faschistenläden mit Staatsbesuch aus der Türkei futtern ist voll cool, ey.

    Aber das darf die deutsche Öffentlichkeit nicht erfahren. Obwohl doch jede Stulle sich überlegen kann, daß weder Gül's noch Wulf's Security das Hasir und seine Gastronomiekette wegen Sicherheitsfragen nicht überprüfen würden. Also, warum trifft man sich dann in einem Graue Wölfe Laden? Für rassistische Griechenwitze? Als Wessie? Umsonst-Urlaub in der Türkei oder wollte Gül schon mal Inseln im Mittelmeer reservieren?

  • A
    aurorua

    Der einzige Politiker, der jetzt noch gut ist, sei Wowi, findet Kuzay: "Der Mann ist ein Arbeiter."

     

    Wie bitte? Bestenfalls ein Arbeiterveraeter wie der Rest seiner Partei.

  • I
    Ivo

    Da sind wir wieder. Nach dem 2011 "Döner-Morde" zum Unwort des Jahres gewählt wurde, muss ausgerechnet die TAZ auf die Meinung der Bürger mit "Migrationshintergrund" bzw. "Dönerhintergrund" mit einem Dönerbild aufmerksam machen. Danke modernes tolerantes Deutschland!

  • C
    carsten

    hmmmm ja, und nun? seeehr aufschlussreicher artikel. dass das sensible verständnis von demokratie nicht in allen kulturen gleichermaßen vorhanden ist, ist bekannt. was will uns dieser artikel sagen?

  • H
    Hatem

    ZITAT: Der einzige Politiker, der jetzt noch gut ist, sei Wowi, findet Kuzay: "Der Mann ist ein Arbeiter."

     

    Dandy Klaus soll ein Arbeiter sein?

    Und Wulff ist ein Opfer?

     

    Schon klar.

     

    Und der Isdlam gehört zu Deutschland.

  • BH
    Banjo Hansen

    Dieser Kuzay ist ja wirklich ein intimer Kenner der Szene. Hut ab!

  • S
    Schulz

    Schwarzhandel mit Immobilien...

    wieso gab es fuer den Praesidenten

    keine Notare... keine Rechtsanwaelte?

    Kein Amtsgericht?

    Brauch die Regierung so was nicht?

    Dann brauchen es andere Leute auch nicht

    und jeder macht, was gerade einfaellt.

    Irgendsowas ist Politik.

    Fuer die Reichen, weil es Reichstag heisst.

     

    Also...

    wer soll so was zu schweres ausueben?

    Schaeuble... der hat schon mehr durchgemacht.

  • S
    Stuttgarter

    Wulff äußerte sich auf einer Veranstaltung im August 2010 mit Nobelpreisträgern negativ zu den anstehenden Bankenrettungsprogrammen. Seitdem wird von der Springer Presse negativ über ihn berichtet. Dass Friede Springer eine gute Scheinfreundin von Angela Merkel ist, sollte der TAZ bekannt sein. Wulff wurde durch die Ermittlungen unter Druck gesetzt, um das SoFFin II-Paket über 480 Milliarden Euro im Januar zu unterschreiben. Nun wird ein Scheingefecht zwischen CDU-Justiz und ihm in Niedersachsen geführt. Der Ausgang ist bereits bekannt: nicht schuldig. Damit kann er seinen Ehrensold behalten und als Dank dafür trat er heute zurück.

    Warum diskutiert TAZ nicht genau diese Umstände, sondern berichtet völlig unkritisch über seinen Rücktritt ohne Nennung dieser Hintergründe.

  • EA
    Enzo Aduro

    Unglaublich wie man anscheinend bei vielen mit der Phrase "Der Islam gehört auch zu Deutschland" einen knallharten Korruptionsverdacht überdecken kann. Macht mich schon etwas nachdenklich.

  • C
    chrysophylax

    Wie fefe schon so treffen schrieb: Georg Schramm wäre der einzige Kandidat mit Format, der geeignet für diesen Job wäre und wirklich was bewegen würde...