Public Viewing in Johannesburg: Diski Dance im Scheinwerferlicht
Schwarz und Weiß kommen zur WM zusammen, nicht aber Arm und Reich. Ein Streifzug durch eine geteilte Stadt.
Kick-off-Tag ist Vuvuzela-Tag. Das Dauerkonzert der langen Tröten beginnt am ersten Tag der Fußballweltmeisterschaft schon mittags in den Straßen von Johannesburg. Es sind keine einzelnen Bläser mehr auszumachen wie an den Vortagen. Sie stecken in dem riesigen Karneval mit drin. Sie hängen aus den Fenstern der Minibusse, die voll besetzt auf dem Weg ins Soccer-City-Stadion sind. Schwarze und weiße Fans tragen Makarapas, die Plastikhelme mit den Abzeichen ihrer Lieblingsmannschaft. Die Autobahn nach Soweto ist verstopft. Die Zubringer aus der Stadt sind es auch. Hubschrauber kreisen über Soweto, in Soccer City gilt höchste Alarmstufe. Wer wirklich ins Stadion will, muss Umwege suchen.
Die Großbildschirme im "Change Room" in Pimville, wenige Kilometer von Soccer City entfernt, zeigen eine Luftstaffel im Formationsflug über dem Stadion, das wie eine massive afrikanische Kalebasse am Rand des größten Townships von Johannesburg liegt. In die "Wows" und "Ohs" der Menge in dem schwarzen Mittelklasse-Klub fallen wieder Vuvuzelas ein. Bier steht in Kühlern mit Eiswürfeln, auf den Couchtischchen stehen Imitate der WM-Pokale aus Metall und goldfarbenem Perlendraht. Die Ledersofas sind mit männlichen und weiblichen Fans aus der Township besetzt, die sich 10 Euro Eintritt für eine Mahlzeit und Bier leisten können um die WM stilvoll zu genießen.
Alle sind in Gelb gekleidet, mit Fußballhüten auf den Köpfen und gemalten Flaggen auf ihren Gesichtern. Sogar ein paar Weiße haben sich hier eingefunden, in dieser Edelstätte von Soweto. Südafrika steht gemeinsam hinter seinem Team. Draußen auf dem Parkplatz wird die Party mit einer kleinen Musikbühne vorbereitet, teure Autos säumen den von Sicherheitskräften bewachten Ort.
Ein landesweit einstudierter Tanz
Drei Straßenecken weiter gibt es eine Straßenparty anderer Art. Der Besitzer einer Autowaschanlage hat vor seinem Haus ein altes Fernsehgerät aufgestellt. Kinder liegen auf ausrangierten Autositzen, ein Zeltdach spendet Schatten. Auf einem museumsreifen Computer spielen Jungs House-Musik, Kinder kicken einen alten Ball in der staubigen Straße und blasen eifrig ihre Vuvuzela. Die ganze Nachbarschaft ist versammelt. Flaggen wehen von den Dächern, Mädchen tanzen im Scheinwerferlicht klappriger Autos den "Diski Dance", einen landesweit einstudierten Tanz mit Bewegungen vom Spielfeld, der in Firmen, auf Partys und im Fernsehen aufgeführt wird.
Die nach vorn gebeugte Bewegung mit geradem Rücken heißt zum Beispiel "Tafelberg". Das ist, wenn der Ball auf dem Rücken rollt. Immer mehr kriechen unter das Dach, Frauen bringen Popcorn und warme Jacken gegen die aufziehende Kälte. Südafrika feiert geeint - und getrennt.
Anderswo sind Weiße unter sich
In Melville, dem alternativ angehauchten Ausgehviertel Johannesburgs, sitzen Schwarz und Weiß immerhin zusammen und feiern den gelungenen Kick-off-Tag. Bars haben Heizstrahler auf den Bürgersteigen installiert, drin sitzen die Fans, auch hier ist Gelb die gemeinsame Farbe zur Unterstützung von Bafana Bafana, den Jungs. Noch ist trotz des Unentschieden gegen Mexiko alles möglich, ein südafrikanischer Sieg in den nächsten Spielen und damit das Weiterkommen ist drin, meinen die Fans.
An anderen Public-Viewing-Orten sitzen Weiße sogar unter sich. Sie sind sonst nicht unbedingt fußballbegeistert, aber die WM lassen sie nicht aus. Selbst weiße Rugbyfans mischen sich unter die Fußballzuschauer, streifen das gelbe T-Shirt des Nationalteams über. "Es geht um die Nation", sagt ein weißer Zuschauer. "Welch eine Chance für Südafrika!"
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