: Psychoterror vom Gläubiger
■ Mit einem „schwarzen Schatten“ unterwegs durch Oldenburg
„Ich habe noch keinen auf die Nase bekommen“, beteuert Martin B., der seinen Nachnamen nicht preisgeben mag. Der Kraftfahrer hat seit kurzem ein neues Outfit und einen neuen Beruf: Von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, ist er als einer von drei „Schwarzen Schatten“ für das gleichnamige Inkasso-Unternehmen im Einsatz. Auf Franchise-Basis hat ein 26 Jahre alter Einzelhandelskaufmann von dem in Recklinghausen ansässigen Patentinhaber der „Schatten“-Idee das Exklusivrecht erworben, um von Oldenburg aus mit kostümiertem Psychoterror zwischen der Nordseeküste und der Region Bielefeld Schulden einzutreiben.
„Sind die Schulden nicht mehr groß, bist Du auch Deinen Schatten los“, lautet das Firmenmotto. Damit der holprige Reim in Erfüllung gehen kann, verfolgen Martin B. und seine Kollegen im Auftrag eines Gläubigers einen säumigen Zahler auf allen öffentlichen Wegen. Der „Schatten“ hält immer einige Meter Abstand – und den Mund. „Sehr wirkungsvoll“, sagt der Chef von Martin B., sei es auch, wenn der schwarz Kostümierte mit Melone und Regenschirm stundenlang vor dem Geschäfts- oder Privathaus des Schuldners herumspaziere. Neugierigen Passanten oder Nachbarn drücke der Schatten dann schweigend die Visitenkarte des Unternehmens in die Hand.
Die öffentliche Bloßstellung macht angeblich acht von zehn Schuldnern in kürzester Zeit mürbe. Das jedenfalls propagieren die bundesweit inzwischen sieben „Schatten“-Unternehmen als „Erfolgsquote“. Spricht der genervte Schuldner seinen „Schatten“ an, bekommt er keine Auskunft, sondern eine Visitenkarte mit der Telefonnummer, unter der er sich „umgehend melden“ soll.
Weil die Verfolger schweigen, keinen direkten Kontakt aufnehmen und kein Privatgrundstück betreten, sieht der neue „Schatten“-Jungunternehmen überhaupt keine juristischen Probleme. Ganz im Gegensatz zum Sprecher der Staatsanwaltschaft in Oldenburg, Oberstaatsanwalt Gerhard Kayser: Auch „psychische Gewalt“ könne strafrechtlich als Körperverletzung belangt werden, von Nötigung und Ehrverletzung ganz zu schweigen. Zivilrechtlich bestehe die Möglichkeit, auf Unterlassung wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte zu klagen, sagt Kayser. Im übrigen sei es höchste Zeit, daß der Gesetzgeber aktiv werde.
Warum Gläubiger anstelle des Gerichtsvollziehers „Schwarze Schatten“ engagieren, bei denen ein Vier-Stunden-Einsatz immerhin 300 Mark plus Fahrtkosten kostet, glauben die Schuldeneintreiber zu wissen: Der Rechtsweg sei umständlicher und teurer. Von den 300 Mark bekommt Martin B., der seinen schwarzen Anzug selbst finanzieren mußte, 50 Mark. Für die Verfolgung per Auto muß er seinen Privatwagen benutzen. Den unübersehbaren Autoaufkleber mit dem Schulden-Reim, die Melone und den Regenschirm stiftete der Chef. Karin Güthlein (dpa)
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