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Psychogramm eines Flüchtlings

■ Schade um den Stoff: David Chotjewitz mit der Uraufführung von „Der einäugige Karpfen“ nach Kenzaburo Oe im Monsun-Theater

Eine Funzel von Nachttischlampe erhellt den kargen Raum, ein paar Bücher und ein Ghettoblaster, ein Marienbild und ein Stuhl bilden dessen ganze Ausstattung. An diesem unwirtlichen Ort in Mexico City will ein Japaner einem Landsmann zwei Zähne ziehen. Bis die Betäubung wirkt, erzählt er dem unsichtbaren Gegenüber anhand von kleinen Episoden seine Lebensgeschichte.

Der Monolog über Heimatverlust, Flucht und Verfolgung trägt den Titel Der einäugige Karpfen und geht auf Kenzaburo Oes Erzählung Der Sündenbock zurück. In der gut einstündigen Bühnenadaption mit Christian Concilio in der einzigen Rolle präsentiert sich der 1964 in Berlin geborene Schriftsteller und Dramaturg David Chotjewitz im Monsun-Theater mit seiner ersten Regiearbeit.

„Was dem einen die Flucht ist, ist dem anderen die Verfolgung“ – die großen Themen des Literaturnobelpreisträgers Oe stehen auch im Mittelpunkt dieses collagenhaften Theaterabends: Entwurzelung und Entfremdung des Individuums in der japanischen Nachkriegsgesellschaft. Die Geschichte des Mannes, der zumindest selber glaubt, als Kind Überlebender einer Flutkatastrophe gewesen zu sein und sich seither auf der Flucht vor seinem Dorf zu befinden, wirkt bei aller grotesken Überhöhung existenziell und spannend. Dennoch geht die Hamburger Uraufführung nicht wirklich unter die Haut. Zu unklar erscheinen die Haltungen von Regisseur und Darsteller gegenüber diesem Psychogramm eines Einsamen.

Wenn Concilio umherschlendert und in den leeren Raum monologisiert, drückt seine lässige Körpersprache nicht die geistige Desorientiertheit eines Außenseiters aus, sondern eher die eigene Unschlüssigkeit über das Verständnis seiner Rolle. Der Regisseur erlaubt ihm sprachliche Nachlässigkeiten („ich hab' alles gekricht“), seine norddeutsche Satzmelodie erinnert mitunter gar an Otto Waalkes. Wie überhaupt die Gestaltung dieses traumatisierten Anti-Helden manchmal unmotiviert kabarettistisch und an anderen Stellen schlichtweg unfertig wirkt.

Das ist schade um einen Stoff, der auch im Westen seine Bedeutung hat. „Wenn ich fremd sage, dann meine ich jeden Menschen außer mir“ – die psychischen Erfahrungen eines Japaners, der sich als einäugiger Karpfen im Teich, als „ein für Gott gehegtes Schlachtopfer“ empfindet, sind ja auch hier nicht unbekannt. Da ist es am Ende trostreich, dass dieser Entwurzelte und Beschädigte schließlich sogar noch träumen darf: von einer neuen Heimat unter Menschen.

Ulrike Cordes

nur noch am 16. März, 20 Uhr, Monsun-Theater

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