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Psychiatrie Waldheim: Halb so schlimm?

■ Untersuchungskommission legt fragwürdigen Bericht zu Zwangsoperationen an Psychiatrie-PatientInnen vor/Direktor Poppe selbst an der Protokollformulierung beteiligt

Waldheim/Berlin (taz) — Der Ausschuß, den die Volkskammer aufgrund der öffentlichen Vorwürfe gegen die psychiatrische Anstalt Waldheim in Sachsen eingesetzt hatte, ist in letzter Minute zu einem Ergebnis gekommen. Der Bericht steckt voller Kompromisse. Die personelle Zusammensetzung der Kommission war mehr als fragwürdig: Zum Beispiel gehörte ihr der Direktor der Anstalt Brandenburg-Görden an, Dr. S. Schirmer, der in den zurückliegenden Jahren regelmäßig mit der Anstalt Waldheim und dem dortigen Direktor Dr. Wilhelm Poppe zusammengearbeitet hatte. Auch durfte der Hauptbeschuldigte Poppe an den Formulierungen des Protokolls seiner Vernehmung mitformulieren. Der Untersuchungsbericht nennt ihn nicht als Angeschuldigten sondern als in der Unterkommission „zeitweilig tätig bzw. zugezogen“.

Den Eindruck in der Kommission „meistens unerwünscht“ zu sein hatte die Leipziger Psychiaterin Sonja Schröter von Demokratie Jetzt. Als Grund vermutet sie: „... daß anfangs der inzwischen beurlaubte Leipziger Bezirksarzt Dr. Enderlein kein Interesse an meiner Mitarbeit hatte, da Dr. Poppe viele Jahre beratender Psychiater dieses Bezirksarztes war und beide eng zusammengearbeitet haben.“ Weiter sagte Schröter: „Zu einer glaubwürdigen Untersuchung gehören unbedingt auch die Stimmen von Betroffenen, von Vertretern anderer Berufsgruppen sowie von unabhängigen Kollegen aus dem Ausland.“ So hatte der international renommierte Gerichtsmediziner Prof. Rasch aus West- Berlin an den ersten Untersuchungen über Waldheim mitgewirkt und die Überwachungsanlage und die Isolierräume der Anstalt kritisch beurteilt. Die Kommission, die jetzt ihren Bericht vorlegt, verzichtete gänzlich darauf, auswärtige ausländische Kollegen aufzunehmen. Es entsteht der fatale Eindruck, der Bericht sei nach dem Motto verfaßt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Besonders erschüttern ist das Schicksal der 1950 geborenen Ursula B. Sie wurde im Alter von 31 Jahren wegen „erheblicher Verhaltensstörungen sowie Aggressionen gegen Personal, Patienten und Gegenstände“ mit Hilfe von Rötgenstrahlen sterilisiert. Die wesentlichen Dokumente über diesen und andere Zwangseingriffe sind inzwischen verschwunden. Fest steht aber, daß sich die Situation der Patientin nach der Bestrahlung „nicht änderte“ wie es in dem Bericht heißt. In ihm wird außerdem das Krebsrisiko dieser „Therapie“ hervorhoben und feststellt, daß zuvor keine entsprechende medikamentöse Behandlung versucht wurde. Was der Bericht verschweigt: Schon wenige Wochen nach diesem Zwangseingriff stürzte sich die Patientin in der Anstalt Hochweitzschen, in die sie verlegt worden war, zu Tode.

Der Bericht stellt ingsgesamt fest, daß die Operationen „nicht politisch mißbräuchlich angewandt wurden“. Damit ist nichts darüber gesagt, wie Patienten, die aufgrund von „politischen Diagnosen“ nach Waldheim eingewiesen worden sind, dort behandelt wurden. Weiter heißt es: „Aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse ist die Sachverständigenkommission zu der Schlußfolgerung gekommen, daß wegen gravierender Verletzungen der Sorgfaltspflicht, insbesondere durch fehlende Einwilligungserklärungen ... der Verdacht der Körperverletzung ausgesprochen werden muß. Es wird deshalb empfohlen, die zuständigen Rechtspflegorgane mit der Abklärung der strafrechtlichen Relevanzen zu beauftragen.“

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