: Prügelknabe war gestern
WM-Quali-Gegner Luxemburg hat im Fußball deutliche Fortschritte gemacht, die Jeff Strasser als neuer Nationaltrainer gegen Deutschland fortführen möchte

Von Frank Hellmann
Auch im Fußball trifft man sich anscheinend immer zweimal. Jeff Strasser und Julian Nagelsmann, die Nationaltrainer von Luxemburg und Deutschland, dienen da als gutes Beispiel. Gemeinsam im Fußballlehrer-Lehrgang 2015/16 ausgebildet, begegnen sich die beiden ein Jahrzehnt später im Rahmen der WM-Qualifikation, wenn der David beim Goliath in der ausverkauften Arena in Sinsheim antritt (Freitag 20.45 Uhr/ARD). Strasser verriet, er habe Nagelsmann in Erinnerung „als sehr sympathischen Menschen, mit dem man sich gut unterhalten konnte: Fachlich ist er extrem stark, vor allem, was taktische Aspekte betrifft.“
Doch seine Nation hat erhebliche Fortschritte gemacht. Wer Luxemburg als Zwerg bezeichnet, der wie vor der WM 1998 oder der WM 2006 mal eben mit 7:0 aus dem Stadion geschossen wird, begeht einen großen Fehler. Viel hätte nicht gefehlt und das kleine Großherzogtum hätte bei der EM 2024 mitgespielt. Luxemburg scheiterte unter der Leitung des inzwischen bei Waldhof Mannheim arbeitenden Luc Holtz erst in den Play-offs gegen Georgien (0:2). In der Qualifikation gab es ein achtbares 0:0 in der Slowakei, wo sich die DFB-Elf zuletzt blamiert hat. Bosnien wurde mit 4:1 und 2:0 geschlagen, gegen Island endeten die Duelle 3:1 und 1:1. Die Rolle des Prügelknaben war einmal. Auch in den bisherigen EM-Qualifikationsspielen gegen Nordirland (1:3) und die Slowakei (0:1) war der Fifa-Weltranglisten-96. nicht viel schlechter.
Strasser hat diesen Sommer ein Team mit einem anderen Selbstverständnis übernommen. „Viele unserer Spieler haben sich im Ausland weiterentwickelt“, erklärt der frühere Bundesliga-Profi des 1. FC Kaiserslautern und von Borussia Mönchengladbach. „Wir haben ein Gerüst von 30 bis 35 Profis, die in ihren Vereinen wichtige Rollen spielen.“ Der 51-Jährige war einst ein solider Bundesliga-Verteidiger, der eine körperbetonte Spielweise pflegte. Sowohl auf dem Betzenberg als auch dem Bökelberg bejubelten die Fans gerade seine rustikalen Grätschen. In der Pfalz arbeitete er Anfang 2018 auch als Trainer, doch nach einem Zusammenbruch wegen Herzrhythmusstörungen während eines Zweitligaspiels gegen Darmstadt 98 trat er nach wenigen Monaten aus gesundheitlichen Gründen wieder zurück. Heute geht es Strasser wieder gut, und der 98-fache Nationalspieler Luxemburgs profitiert vom gestiegenen Stellenwert des Fußballs.
Jeff Strasser, Trainer Luxemburg
Die luxemburgisch-deutschen Beziehungen haben beim Aufschwung geholfen: Sechs aktuelle Nationalspieler spielen beim großen Nachbarn, natürlich nicht alle bei Spitzenvereinen. Danel Sinani vom FC St. Pauli oder Aiman Dardari beim FC Augsburg kommen in der Regel für die zweite Mannschaft zum Einsatz. Der aus der Bundesliga bekannteste Akteur ist Leandro Barreiro, dessen Eltern einst über Portugal aus Angola nach Luxemburg kamen, Erpeldingen an der Sauer ist der Geburtsort des Fußballers, der in der Jugend des FSV Mainz 05 ausgebildet wurde, zum lauf- und zweikampfstarken Leistungsträger reifte, ehe es den 25-Jährigen im vergangenen Sommer ablösefrei zu Benfica Lissabon zog. Seine Begabung ist so auffällig, dass ihn die Sportpresse Luxemburg Ende 2023 sogar zum „Sportler des Jahres“ in dem Land mit 660.000 Einwohnern kürte.
Mittelfeldarbeiter Barreiro gilt in vielerlei Hinsicht als Vorbild, was vom lange besten Stürmer Gerson Rodrigues nicht zu behaupten ist. Der Rekordtorschütze (23 Treffer) sorgte wochenlang für viele Diskussionen, als er trotz einer Verurteilung zu einer Haftstrafe von 18 Monaten auf Bewährung wegen mehrfacher Körperverletzung fürs Nationalteam nominiert werden sollte. Es ging um Vorwürfe wegen häuslicher Gewalt gegen seine früheren Partnerin, die sich direkt an Strassers langjährigen Vorgänger Holtz wandte. Erst im August entschied Luxemburgs Fußball-Verband FLF, den Wandervogel nicht mehr zu nominieren, was vermutlich keine Schwächung bedeutet, denn der 30-Jährige kickt inzwischen in Thailand.
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