■ Prêt-à-porter: John Galliano, schräggeschnitten
John Galliano hat den gestrigen Tag auch nicht gerettet. Er hatte den Medien eine lange Geschichte zu seiner Kollektion aufgetischt (könnte ihnen ja sonst nichts einfallen): Ein Matrose, der in jedem Hafen eine andere Braut hat und immer an die denkt, bei der er gerade nicht ist. Undankbarer Patron das, denke ich, aber Galliano fand es romantisch. Für seine Vorführung bot er haufenweise künstlichen Schnee auf und jedes Supermodel, das im letzten Jahr die Coverseiten der großen Modemagazine geschmückt hat. Galliano verarbeitet seit einigen Jahren Seide und Satin im Schrägschnitt, eine Methode, die Madeleine Vionnet in den 30er Jahren zur Perfektion entwickelt hat, und die dann mit der Erfindung der Stretchstoffe etwas aus der Mode gekommen ist. Die Kleider haben keine Reißverschlüsse und keine Abnäher, außer je einem kleinen am Busen. Die Wirkung ist spektakulär und von einer gewissen Komik. Jede Bewegung des Körpers wird vom Stoff aufgenommen und weitergegeben. Eben hat er sich noch um die Brust gespannt, da wirft er auch schon eine Falte in der Taille, ihre Schlankheit betonend, dann ist es die Hüfte. Es gibt keinen ausgearbeiteten Busen oder Abnäher in der Taille, um diese Körperteile absichtlich zu betonen. Vielmehr hängt alles von der Bewegung ab. Deshalb kann eine Frau in so einem Kleid selbst von dem größten Puritaner niemals beschuldigt werden, sich gewollt aufreizend zu kleiden. Es ist schließlich nicht verboten, sich zu bewegen. Der Stoff ist an allem schuld.
Eine Serie von roten bis pinkfarbenen Kleidern kam spanisch daher. Sie schmiegten sich bis etwa zu den Knien an den Körper und sprangen dann wie Glocken auf. Weiter hatten sie tiefe V- förmige Ausschnitte vorne und hinten, Spaghettiträger und riesige Girlanden aus Tüllrüschen an der Schulter, die fast bis zu den Ohren reichten. Andere Kleider waren aus schwarzem oder violettem Satin, mit Kragen, die wie große Schals um den Ausschnitt lagen, aber dabei sehr steif aufgestellt waren – kurzum die ganze theatralische Eleganz der 50er Jahre, Rita Hayworth und Maria Callas. Galliano hat in einer Zeitung erklärt, daß er seine Kenntnisse gern bei einem großen Couturier erweitern würde. Inzwischen geht das Gerücht um, daß er Topdesigner bei Givenchy werden soll, eine Marke, die für ihre dezent damenhafte Eleganz bekannt ist. Das wäre dann wohl ein ziemlich dornenreicher Weg. Anja Seeliger
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