Prozessauftakt in Ansbach: Schüler gesteht Amoklauf
Georg R. hat zum Prozessauftakt den geplanten Mord an seinem Gymnasium gestanden. Trotz des großen öffentlichen Interesses findet die Verhandlung ohne Zuschauer statt.
Er hat die Kapuze seines grauen Pullovers tief ins Gesicht gezogen. Seine Augen versteckt er hinter einer Sonnenbrille, seinen Mund hinter einem dunklen Schal. So schlurft Georg R. in den Gerichtssaal. Niemand soll sein Gesicht sehen. Als der Staatsanwalt die Anklage verliest, hält R. einen Stapel Papier zwischen sich und die Zuschauer. Die Anklage lautet: Versuchter Mord in 47 Fällen, schwere Körperverletzung, versuchter Totschlag, Brandstiftung. Das ist die Bilanz eines Amoklaufs.
Am 17. September vergangenen Jahres betrat der damals 18-jährige Schüler R. das Gymnasium Carolinum im bayerischen Ansbach mit einem Rucksack voller Molotowcocktails. Er hatte ein Beil dabei, einen Hammer und mehrere Messer. Er wollte so viele Menschen umbringen wie möglich. Weil die Polizei schnell eingriff, überlebten Opfer und Täter. Seit Donnerstag steht R. wegen seines Amoklaufs in Ansbach vor Gericht. Prozesse gegen Amokläufer sind selten. Meist werden die Täter während ihres Amoklaufs getötet oder begehen Selbstmord. Eine Gerichtsverhandlung wie die in Ansbach könnte wichtige Antworten liefern, warum ein Schüler wie R. plötzlich zum Attentäter wird. Oder wie sich so eine Entwicklung erkennen lässt. Es gebe ein besonderes öffentliches Interesse an dem Verfahren, meint die Staatsanwaltschaft.
Doch für die Ansbacher Richter muss das öffentliche Interesse zurückstehen, hinter dem „Schutzbedürfnis des Angeklagten“. So schließen die Richter die Öffentlichkeit aus, bis zur Urteilsverkündung.
Als die Verhandlung vor leeren Zuschauerbänken fortgesetzt wird, legt Georg R. ein Geständnis ab. Er lässt es von seinem Anwalt verlesen. Er habe für die Opfer kein Mitleid empfunden, sagte R. aus. Mitschüler und Lehrer seien für ihn keine Lebewesen gewesen. So teilte es der Justizpressesprecher Thomas Koch anschließend mit. Damit bestätigte R. im wesentlichen, was ihm die Staatsanwälte vorwerfen.
Nach ihrer Anklage hat R. seine Bluttat penibel geplant. In einem Rucksack brachte er fünf aus Bierflaschen selbstgebaute Molotowcocktails in die Schule. In einer Toilette im dritten Stockwerk der Schule setzte sich R. eine Schutzbrille auf und entzündete den ersten Brandsatz. Er warf ihn in das Klassenzimmer einer zehnten Klasse. Mehrere Schüler wurden verletzt. Dann ging er mit dem Beil auf Schüler los. Einer bereits wehrlos am Boden liegenden Schülerin schlug er mit dem Beil auf den Kopf. Er warf zwei weitere Brandsätze in Klassenzimmer. Anders als geplant, gelang es ihm nicht, einen großflächigen Brand in der Schule auszulösen.
Als die Polizei eintraf, versuchte R. sich selbst zu töten. Als er einen Polizisten mit einem Messer bedrohte, schoss der in Notwehr auf R. Er habe den Polizisten nicht töten wollen, sagte R. in der Verhandlung, er habe gehofft, der Beamte erschieße ihn. Wenig später wurde R. lebend festgenommen. Derzeit lebt R. in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik. Das Urteil wird am kommenden Donnerstag erwartet.
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