Prozess um Amanda Knox: Der Engel mit den Eisaugen ist frei
Fast vier Jahre saß die US-Studentin Amanda Knox wegen Mordes in Italien im Gefängnis. Jetzt hat ein Berufungsgericht die 24-Jährige und ihren Ex-Freund freigesprochen.
PERUGIA/ROM dpa/afp | Spektakuläre Wende in einem spektakulären Prozess: Die Amerikanerin Amanda Knox ist im Berufungsprozess um den Mord an einer britischen Studentin im italienischen Perugia freigesprochen worden. Tränenüberströmt nahm die 24-Jährige, auch "Engel mit den Eisaugen" genannt, das Urteil entgegen. Auch ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito sprach das Geschworenengericht in Perugia am Montagabend frei. Die beiden hätten die Tat nicht begangen, erklärte das Gericht.
Noch vor Mitternacht verließ die junge US-Studentin das Gefängnis von Perugia, in dem sie rund vier Jahre gefangen war. Wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtete, wurde sie in einem schwarzen Mercedes mit unbekanntem Ziel vom Gelände der Haftanstalt gefahren. US-Medien berichteten, sie wolle noch am Dienstag zurück nach Seattle im US-Bundesstaat Washington fliegen.
"Ich habe das Unerträgliche ertragen", sagte sie nach Angaben von Corrado Maria Daclon, Generalsekretär einer amerikanisch-italienischen Stiftung, die sich in dem jahrelangen juristischen Tauziehen für Knox eingesetzt hatte. Sie wolle "einfach nur nach Hause, sich wieder mit ihrer Familie vereinen, ihr Leben wieder in Besitz nehmen und ihre Fröhlichkeit zurückgewinnen", sagte Daclon, der die 24-Jährige auf der Fahrt aus dem Gefängnis begleitete, laut Ansa.
Das US-Außenministerium lobte das italienische Rechtssystem: "Die USA erkennen die sorgsame Prüfung des Falles durch die italienische Justiz an", erklärte Außenamtssprecherin Victoria Nuland.
Suche nach Tätern beginnt von vorne
Seinen Anfang nahm der Fall im November 2007: Die britische Austauschstudentin Meredith Kercher wird mit durchschnittener Kehle, vergewaltigt, halbnackt und von Messerstichen übersät in ihrer und Knox' gemeinsamer Wohnung in Perugia gefunden. Knapp zwei Jahre später wurden Knox und Sollecito in einem Indizienprozess zu 26 beziehungsweise 25 Jahren Haft verurteilt. Nach Aufassung der ersten Instanz hatten sie Kercher bei Sexspielen getötet.
Nun sind sie frei. Auch Sollecito verließ noch in der Nacht das Gefängnis. Knox' Familie erklärte, Amanda habe vier Jahre gelitten für ein Verbrechen, das sie nicht begangen habe. Der Freispruch sei keiner aus Mangel an Beweisen, unterstrichen italienische Medien. Vollkommener könne ein Freispruch nicht sein. Die Suche nach dem Schuldigen müsse damit von vorne beginnen, hieß es in Kommentaren.
Vor dem Gerichtssaal spielten sich nach dem Urteilsspruch tumultartige Szenen ab. Für den Freispruch gab es Buh-Rufe und Jubel zugleich. Das Interesse an dem Prozess war enorm: Rund 400 Journalisten aus aller Welt waren angereist und hatten vor dem Gebäude ausgeharrt. Mehr als zehn Stunden berieten die zwei Richter und sechs Geschworenen, bevor sie das Urteil um etwa 22.00 Uhr verkündeten.
Schadenersatz steht noch aus
Die Spannung stieg bis zuletzt. Die Angehörigen der getöteten Meredith Kercher hörten der Urteilsverkündung wie versteinert zu. Die Schwester der Ermordeten brach in Tränen aus. Nachdem die Mutter von Kercher das Urteil im Gerichtssaal reglos und stumm aufgenommen hatte, erklärte die Familie später: "Wir können es nicht verstehen, wie das erste Urteil komplett umgedreht werden kann. Wir wollen, dass die Wahrheit ein für alle Mal herausgefunden wird." Die vor dem Gericht versammelte Menschenmenge entlud ihre Anspannung in Jubelrufen einerseits und Drohungen und Beschimpfungen andererseits.
Wegen Verleumdung des kongolesischen Barmannes Patrick Lumumba, den Amanda kurz nach ihrer Festnahme zu Unrecht des Mordes beschuldigt hatte, bestätigte das Gericht das betreffende Urteil der ersten Instanz: Die Haftstrafe von drei Jahren hat die Amerikanerin aber bereits abgesessen. Eine Schadensersatzzahlung und die Erstattung der Gerichtskosten Lumumbas stehen aber noch aus. Knox und Sollecito hatten in einem knapp elf Monate langen Berufungsprozess bis zuletzt gekämpft, um ihre Unschuld zu beweisen.
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