Prozess in Osnabrück: Ein Mord der Mittelklasse
Osnabrück im Bann des Verbrechens: Der Prozess wegen Anstiftung zu einem Mord beschäftigt an der Hase Lokalmedien und lockt Massen ins Gericht: Ob das nur daran liegt, dass der Täter mit Sicherheit noch nicht gefasst ist?
Markus Kujat ist am späten Nachmittag des 24. Juli 2008 im Bett ermordet worden. Ohne Gewalt war der Täter in die Wohnung eingedrungen. Der erste Schuss traf die Leiste von Kujat. Dann hat der Täter, so die Anklage, das Magazin seiner Waffe in den Rücken des Opfers geleert.
Das klingt dilettantisch. Und blutig. Und dennoch haben die Ermittler noch keinen dringend Verdächtigen gefasst. Selbst gegen den Menschen aus Haselünne, den sie für den Todesschützen halten, konnten sie keinen Haftbefehl erwirken. Definitiv nicht geschossen haben hingegen die zwei Angeklagten Maren M. und Andris M., die sich seit Montag vorm Landgericht Osnabrück verantworten müssen.
Ihr Alibi ist so wasserdicht, dass es schon wieder verdächtig klingt: Mehrere Zeugen haben das Pärchen im fraglichen Zeitraum beobachtet, wie es in einer Tankstelle ostentativ schmuste, wobei Andris M. nervös gewirkt haben soll. Danach fuhr Maren M. allein nach Eversburg, ein komplett verklinkertes Stadtrandneubaugebiet, wo Osnabrücks Beschaulichkeit am meisten schmerzt. Und wo Kujats Wohnung lag. Sie fand den Toten. Mit Indizien will die Staatsanwaltschaft ihr und Andris M. die Anstiftung zum Mord nachweisen. Und nur bei einer völlig unerwarteten Wendung würden die Verteidiger am Ende nicht auf Freispruch plädieren.
Dass dies ein zähes, langwieriges Verfahren wird, wäre auch klar gewesen, wenn der Vorsitzende es nicht direkt nach Verlesung der Anklage vertagt hätte. Der Andrang aber ist enorm: Gut 150 Zuschauer fasst der große Saal. Dabei war das Opfer kein Prominenter, auch wenn sein Name auf 38 Patentschriften weltweit steht. Nur spärlich jedoch ist der Ruhm der Erfinder von Folienbeuteln und Verfahren zu ihrer Herstellung.
Auch das Verbrechen selbst hat kaum Strahlkraft: Ein kleiner mieser Mord, begangen von jemandem, der ungestörten Zugang zur Wohnung des Opfers hatte. Der wusste, dass Kujat an jenem Tag von einer USA-Reise zurückkehrte - und ahnte, dass er dann erst mal schlafen gehen würde. In Osnabrück aber schlägt die Tat Wellen: Die Lokalzeitung berichtet sehr regelmäßig. Er habe 20 Artikel zum Thema verfasst, bekennt der Gerichtsreporter der NOZ. "In Osnabrück", wagt er sogar eine These, "häufen sich die brutalen Straftaten im Jahr 2008."
Statistisch ist das unhaltbar, aber vielleicht artikuliert sich so die Angst vorm Ende der Beschaulichkeit an der Hase: Was wären das für Zeiten, in denen das Mittelklasse-Milieu die kriminelle Praxis der Politthriller kopierte? Auftragskiller! Im Reihenhaus! Dass Maren M. ihrem Mitangeklagten und Lover Andris über die Wange tätschelt, als sie den Saal betritt, erfährt jedenfalls eine ungünstige Bewertung: Mindestens ein getuscheltes "Unverfroren!" ist zu hören, was wohl damit zusammenhängt, dass Maren M. ein starkes Motiv gehabt hätte: Noch wohnte sie mit dem Opfer zusammen, obschon die Beziehung laut Anklage seit vier Jahren kriselte. Nicht zuletzt, weil die 31-Jährige ihren laut Staatsanwaltschaft "aufwändigen Lebensstil" auf Kujats Kosten pflegte - und zugleich eine neue Liaison mit dem 42-jährigen Andris M. eingegangen war. Der hätte sich vorstellen können, mit der 31-Jährigen in die USA auszuwandern - "schließlich", so die Oberstaatsanwältin, "hielt er sie für eine wohlhabende Frau".
Denn konsequent scheint Maren M. in ihren Erzählungen über sich Wunsch und Wirklichkeit vermischt zu haben: Dass sie vermögend sei, dass sie, die keine Hochschulzugangsberechtigung erworben hatte, studiere - derlei hatte sie schon Kujat vorgegaukelt. Ihrem Frisör aber hat sie geschildert, dass sie sich ihres Lebensgefährten entledigen werde. Dass das Nötige bereits unternommen sei. Seiner Aussage misst die Anklage große Bedeutung bei - weil Wünsche auch von Mythomanen so selten von alleine in Erfüllung gehen.
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