Prozess gegen kirgisischen Menschenrechtler: Angst und Gewalt im Gerichtssaal
Die Urteile gegen acht Usbeken wegen des Mordes an einem kirgisischen Polizisten sollen vielleicht aufgehoben werden. Dessen Verwandte drohen mit neuen Unruhen.
BISCHKEK taz | Das Dutzend Männer im Obersten Gericht in Bischkek guckt düster. Ein stämmiger Kirgise mit Stiernacken und rasiertem Schädel pustet in die offenen Handflächen, so als müsse er sich davon abhalten, zuzuschlagen. Seit dem 26. Januar verfolgen die Verwandten und Kollegen des während der Juniunruhen im südkirgisischen Kurgan Basar ermordeten kirgisischen Polizisten Muktabek Sulaimanow die Verlesung von Revisionsanträgen der Verteidiger von sieben Usbeken und einer Usbekin. Diese waren zuvor in zwei Instanzen wegen des gemeinschaftlichen Mordes an dem Polizisten zu langjährigen oder lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden.
Der usbekische Menschenrechtler Asimschon Askarow wurde als Drahtzieher der Mordtat zur lebenslanger Haft verurteilt. Sein Fall sorgte weltweit für Proteste. "Der Menschenrechtler hat nichts mit dem Tod des Polizisten zu tun", erklärt dessen kirgisischer Anwalt Nurbek Toktakunow, die Polizei habe lediglich einen Sündenbock gebraucht.
Deutsche und US-amerikanische Diplomaten beobachten den Prozess in Bischkek. Die Verteidiger fordern die Aufhebung der Urteile. Die Begründungen wiegen schwer. Die Mandanten seien in der Haft gefoltert und Beweisdokumente nachträglich verändert worden. Verwandte und Kollegen des getöteten Polizisten hätten bei den Prozessen im Süden eine aggressive Lynchjustizstimmung erzeugt. Verteidiger und Angeklagte seien im Gerichtsaal geschlagen und bedroht worden. Entlastungszeugen seien aus Angst nicht erschienen, ein fairer Prozessverlauf nicht möglich gewesen.
Die beschriebenen Exzesse sind kein Einzelfall. Seit Monaten beherrscht eine nationalistisch aufgeheizte kirgisische Stimmung die Gerichtsverfahren über die ethnischen Unruhen im Süden Kirgistans. In der Nacht zum 10. Juni eskalierten die Spannungen zwischen Kirgisen und Usbeken. Tausende kirgisische Marodeure brandschatzten mit Unterstützung der kirgisischen Sicherheitskräfte die usbekischen Wohnviertel in den Städten Osch, Dschalalabad und Kurgan Basar.
Die Opferstatistik ist eindeutig. 99 Prozent der über 2.000 zerstörten Häuser gehörten Usbeken, unter den bisher offiziell veröffentlichten 426 Opfern sind zwei Drittel Usbeken. Zudem flohen kurzeitig an die 100.000 nach Usbekistan. Gleichwohl sieht sich die kirgisische Öffentlichkeit als Hauptopfer der Unruhen. Eine nationale Untersuchungskommission gibt den Führern der Usbeken die Schuld, mit Autonomieforderungen den Konflikt ausgelöst zu haben.
Die juristische Aufbereitung der Unruhen entspricht dieser Stimmung. Bisher wurden hauptsächlich Usbeken verhaftet und verurteilt. Menschrechtsorganisationen, aber auch die EU und die UN beklagten Folter während der Verhaftungen. Faire Gerichtsverfahren sind bis heute nicht möglich, da der Mob von den Zuschauerbänken aus ins Geschehen eingreift. Als im Januar der taz-Reporter ein Verfahren gegen zwei Usbeken in Osch besuchte, warfen die kirgisischen Zuschauer ihn trotz Genehmigung unter Drohungen aus dem Saal. Die kirgisische Polizei schritt nicht ein.
Die Verwandten des ermordeten Polizisten verlangen vom Obersten Gericht die Bekräftigung der Urteile gegen die usbekischen Angeklagten und den Menschenrechtler Askarow. Sie drohen, dass es andernfalls im Süden Kirgistans zu neuen Unruhen kommen werde.
Die Richter vertagten die Urteilsverkündigung auf den 8. Februar. Ihr Dilemma: Folgen sie der Verteidigung, könnte dies erneut Unruhen provozieren. Weisen sie die Anträge zurück, erhielte die vom ethnischen Hass getragene Justiz das Gütesiegel des Obersten Gerichts.
"Es wäre klüger gewesen, mit dem Revisionsverfahren zu warten", gibt der Verteidiger des usbekischen Menschenrechtlers zu bedenken. Erst nach einer Stabilisierung im Lande hätte die Gerechtigkeit in Kirgistan eine Chance, sagt Toktakunov. Aber sein Mandant wolle nicht länger unschuldig im Gefängnis sitzen.
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