piwik no script img

Prozess gegen jungen AntifaschistenAlles wartet auf den Freispruch

Über 100 Tage Untersuchungshaft und fragwürdige Aussagen von Neonazis: Am Donnerstag fällt das Urteil im Prozess gegen "Matti". Für die Polizei könnte es peinlich werden.

Seit mehr als einem Jahr wartet Matthias Z. auf diesen Tag. Am heutigen Donnerstag wird der Prozess wegen schwerer Körperverletzung gegen ihn endlich zu Ende gehen - und so, wie es aussieht, auf glückliche Weise. Z. wird vorgeworfen, zwei Neonazis angegriffen zu haben. Einzige Beweise waren bisher die Aussagen zweier verurteilter Neonazis. Doch mittlerweile sind selbst die sich nicht mehr sicher, dass sie Z. tatsächlich erkannt haben.

Der Fall des 22-Jährigen hatte eine deutschlandweite Solidaritätskampagne, weit über die linke Szene hinaus, ausgelöst. Antifas gehen davon aus, dass die Rechtsextremen "Matti" gezielt mit falschen Anschuldigungen einschüchtern wollten. Voraussichtlich wird der Tatvorwurf der schweren Körperverletzung heute endgültig fallen gelassen. Unangenehm wird der letzte Prozesstag für die Ermittlungsbehörden. Sie müssen heute erklären, warum sie den Zeugenaussagen der Neonazis glaubten, obwohl bekannt war, dass zumindest eine der Geschädigten bereits in der Vergangenheit Linke falsch beschuldigt hatte. So ist aus dem Prozess gegen den Antifaschisten und Gewerkschafter am Ende eine Blamage für die Berliner Staatsschützer geworden.

Angefangen hatte alles am 29. November 2006. An diesem Abend wurde ein bekanntes Neonazi-Pärchen am S-Bahnhof Lichtenberg von drei Personen mit Schlagstöcken angegriffen und leicht verletzt. Obwohl alle Täter maskiert waren, gingen Stefanie P. und Sebastian Z. noch in derselben Nacht mit einem selbst geschossenen Porträtfoto von Matthias Z. zur Polizei und gaben an, ihn unter den Angreifern erkannt zu haben.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte dem Polizeilichen Staatsschutz des Landeskriminalamtes (LKA) auffallen können, dass Matti für die beiden Rechtsextremisten kein Unbekannter ist. Er war Hauptbelastungszeuge in einem zum damaligen Zeitpunkt noch ausstehenden Verfahren gegen Sebastian Z. Außerdem sind die Geschädigten bekannt dafür, "Anti-Antifa-Arbeit" zu machen sowie Fotos und Adressen vermeintlicher politischer Gegner zu sammeln.

Die Polizei ließ sich dadurch aber nicht abhalten, Matti zwei Wochen lang intensiv zu observieren und sein Telefon abzuhören. Obwohl anfangs wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt wurde, lautete der Tatvorwurf jetzt versuchter Totschlag. Am 12. Dezember stürmten die Beamten Mattis Wohnung und nahmen ihn wegen angeblicher Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Obwohl an den mehr als 50 beschlagnahmten Kleidungsstücken sowie an zwei Schlagwerkzeugen und Reizgasdosen trotz DNA-Analyse keine belastenden Spuren gefunden wurden, saß er mehr als 100 Tage lang im Gefängnis. Erst nach scharfen Protesten von den Grünen, der Linken, Ver.di und Jusos wurde der Haftbefehl Ende März ausgesetzt und die Anklage auf schwere Körperverletzung herabgestuft.

Seit Beginn des Prozesses vor vier Wochen kamen LKA und Staatsanwaltschaft immer mehr in Erklärungsnot. Keiner der unbeteiligten Zeugen konnte Matti als mutmaßlichen Täter wiedererkennen. Am dritten Prozesstag konnten sich plötzlich auch die beiden Neonazis nicht mehr genau erinnern, ob Matti unter den Angreifern war oder nicht. Nach Meinung von Prozessbeobachtern ein taktischer Rückzug, um einer Anzeige wegen Falschaussage zu entgehen.

Am selben Tag führten die Verteidiger von Matti an, dass Stefanie P. bereits in der Vergangenheit offenbar bewusst Falschaussagen gemacht hatte, um sechs Linke zu belasten. Damals sah der vernehmende Staatsschutzbeamte keine Veranlassung, den fragwürdigen Aussagen Glauben zu schenken. Umso verwunderlicher, dass derselbe Beamte nur wenig später den gegen Matti vorgebrachten Anschuldigungen von Stefanie P. glaubte. Heute wird der Staatsschützer dazu Rede und Antwort stehen müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!