Prozess gegen Rote Khmer beginnt: 1,7 Millionen Morde
Am Dienstag beginnt in Kambodscha der erste Prozess gegen einen Ex-Funktionär der Roten Khmer. Die Bevölkerung steht dem von der UN unterstützten Tribunal reserviert gegenüber.
Wer waren die Roten Khmer?
Sie gingen aus der Kommunistischen Partei Kambodschas hervor. Ihre Ideologie war eine Mischung aus Maoismus, Verherrlichung des Bauerntums und Kulturnationalismus. Sie selbst benutzten den Namen Angka ("Die Organisation"). Am 17. April 1975 übernahmen sie die Herrschaft in Kambodscha, das im Vietnamkrieg zwischen die Fronten geraten war.
Was wollten sie erreichen?
Einen Bauernstaat, ohne Klassenunterschiede, in dem jede Individualität aufgehoben war.
Wie gingen sie vor?
Sie schafften das Geld ab, verboten die Religion und verbrannten Bücher. Die Stadtbevölkerung wurde zum Arbeiten aufs Land verfrachtet. Schon wer lesen und sprechen konnte, lief Gefahr, als "Bourgeois" bezeichnet und ermordet zu werden. Schätzungsweise 1,7 Millionen Kambodschaner kamen während der Herrschaft der Khmer ums Leben, rund ein Fünftel der Bevölkerung. Etwa die Hälfte davon wurde getötet, die anderen starben durch Zwangsarbeit, Hunger oder Krankheit.
Was beendete ihre Herrschaft?
Im Januar 1979 marschierte das kommunistische Vietnam in Kambodscha ein. Die Roten Khmer zogen sich in den Dschungel zurück und begannen mit der Unterstützung Chinas, Thailands und der USA einen Guerillakrieg gegen die von den Vietnamesen eingesetzte Regierung. Noch bis 1991 erkannte die westliche Welt die Exilregierung, an der die Khmer beteiligt waren, als legitime Regierung Kambodschas an, die das Land auch in der UNO vertrat.
Warum hat die Aufarbeitung so lange gedauert?
Der Anführer der Roten Khmer, Pol Pot, starb 1998. Im selben Jahr wurden die meisten ehemaligen Führer von der kambodschanischen Regierung amnestiert - gegen das Versprechen, endgültig zu kapitulieren. 2003 wurde zwischen der UNO und Kambodschas Regierung die Einrichtung des Tribunals vereinbart, es folgten jedoch eine lange juristische Auseinandersetzung.
Wo wird gegen die Khmer prozessiert?
Das von den UN gestützte Tribunal gegen fünf hochrangige ehemalige Kader der Roten Khmer ist der erste internationalisierte Gerichtshof mit mehrheitlich einheimischen Richtern und Anklägern. Urteile können nur mit Zustimmung mindestens eines UN-Richters gefällt werden. Kritiker monierten aber politische Einflussnahme. Unterstützt wird das Tribunal mit internationalen Geldern, auch aus Deutschland. Opfer und Hinterbliebene treten als Nebenkläger auf. NIG, DZY
An den weiß gekalkten Wänden hängen Fotos von Folteropfern. Die Schwarz-Weiß-Bilder sind zwar arg vergilbt, und doch sind Angst und Schmerz auf den Gesichtern deutlich sichtbar. Was diese Menschen hier erleiden mussten, lässt auch der Anblick der schmalen Zellen erahnen, die ein paar Meter weiter in einem anderen Gebäude des ehemaligen Gefängnisses Tuol Sleng in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh stehen: Bettgestelle mit Handschellen, daneben Folterinstrumente. Tuol Sleng, auch als "Sicherheitsgefängnis 21" bekannt, ist heute ein Museum. Etwa 14.000 Kambodschaner durchlitten diese Hölle. Nur sieben haben sie überlebt.
Der Maler Vann Nath ist einer von ihnen. "Wir wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt", sagt der 63-Jährige, der unter der Herrschaft der Roten Khmer zwei Söhne verlor. "Wenn die Vergangenheit nicht bekannt wird, besteht die Gefahr, dass sie sich wiederholt."
30 Jahre nach der Entmachtung des Regimes von Pol Pot darf Vann Nath darauf hoffen, dass sein Wunsch Wirklichkeit wird. Am Dienstag beginnt der erste Prozess gegen einen Verantwortlichen des Massenmords.
Vor den Außerordentlichen Kammern der Gerichte Kambodschas, kurz ECCC, wie das UN-gestützte Tribunal offiziell heißt, verantworten muss sich der einstige Leiter von Tuol Sleng, Kaing Khek Iev alias Duch. Dem heute 66-Jährigen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen.
Der nach dem Ende des Khmer-Regimes zum Christentum konvertierte Duch war 1999 von Journalisten aufgespürt und später verhaftet worden. "Der Fall Duch ist insofern ziemlich einzigartig, da er seine Verbrechen gestanden und Reue für die Opfer und deren Familien gezeigt hat", sagt Richard J. Rogers, der stellvertretende Chefverteidiger des Tribunals.
Außer Duch sind vier weitere ehemalige Funktionäre der Roten Khmer angeklagt: Nuon Chea, der Chefideologe, Stellvertreter Pol Pots und "Bruder Nummer zwei", Khieu Samphan, der frühere Staatspräsident und "Bruder Nummer drei", Ieng Sary, einst Außenminister und dessen Frau, die frühere Sozialministerin Ieng Thirith. Sie hatten jahrelang unbehelligt in Freiheit gelebt. Von den Gräueltaten wollen sie nichts gewusst haben. Dabei wissen alle, zumindest alle älteren Kambodschaner, um ihre Rolle im Khmer-Regime. "Und doch stehen die Menschen dem ECCC und den UN reserviert gegenüber", sagt Youk Chhang, der Leiter des Dokumentationszentrums in Phnom Penh.
Die Skepsis der Bevölkerung ist begründet: Immer wieder hat sich die Einrichtung des Tribunals verzögert. Im Juni 2003 hatte sich die kambodschanische Regierung mit der UNO nach fünfjährigen zähen Verhandlungen darauf geeinigt, einen Gerichtshof einzurichten. Und es dauerte nochmals vier Jahre, bis die vier Funktionäre verhaftet wurden. Das Tribunal müsse Vertrauen bei der Bevölkerung schaffen, meint Youk Chhang. "Das aber wird schwer werden, sollte einer der greisen Angeklagten noch vor Prozessbeginn sterben."
Kritiker meinen, in den vielen engen Verbindungen zwischen dem herrschenden Staatsapparat und den ehemaligen Roten Khmer den Grund für die Verzögerung zu erkennen. Erst kürzlich, zum 30. Jahrestag des Sturzes von Pol Pot am 7. Januar, warf die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch der kambodschanischen Regierung vor, die Arbeit des UN-gestützten Gerichtshofes zu behindern. "Nach 30 Jahren ist für diese Verbrechen noch niemand vor Gericht gestellt, schuldig befunden oder verurteilt worden", sagt der Asien-Verantwortliche von Human Rights Watch, Brad Adams. "Das ist kein Zufall: Zuerst haben China und die USA alle Anstrengungen, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, blockiert, und im vergangenen Jahrzehnt hat Hun Sen alles getan, um die Justiz zu behindern." Ministerpräsident Hun Sen, der Offizier der Roten Khmer war, ehe er 1977 zu den Vietnamesen überlief, hat sich einmal sogar öffentlich darüber mokiert, wer eigentlich wofür vor Gericht gestellt werden solle.
Dass es jetzt dazu kommt, ist für viele Opfer eine späte Genugtuung. Sie hatten die politischen und juristischen Querelen schweigend und zunehmend desillusioniert angesehen. Sie sehnten den Tag herbei, an dem die Prozesse endlich beginnen würden. Fast jeder hat traumatische Verluste erlitten. So viele ihrer Verwandten, Freunde, Bekannten wurden ermordet. Vielen steigen immer noch Tränen in die Augen, wenn sie an das Grauen zurückdenken. "Sie wollen, dass die Prozesse endlich stattfinden, weil sie immer noch Schmerz und Zorn in sich haben über das, was damals passiert ist", sagt die Sozialarbeiterin Heng Srey. "Nur dann werden die Menschen das Gefühl haben, dass ihnen endlich Gerechtigkeit widerfährt."
Vor allem für die junge Generation wäre es gut, mehr über den Massenmord zu erfahren, sagen die Älteren. Die Jüngeren könnten sich die Gräuel von damals kaum vorstellen. "Wie denn auch", meint die Aktivistin und Anwältin Theary Seng. Sie hat im Pol-Pot-Regime ihre Eltern verloren. "In der Schule hat die jüngere Generation nichts darüber erfahren", erzählt die 37-Jährige. "Und auch sonst wurde darüber geschwiegen." Wenn überhaupt, hätten Eltern ihre Leiden für disziplinarische Zwecke gegenüber ihren Kindern eingesetzt: "Esst euer Essen auf, ich hatte keines, als ich klein war." Kambodscha sei eine gebrochene Gesellschaft, "die Vergangenheit ist immer noch bei uns", sagt Seng. Zumindest ein Teil der jüngeren Generation möchte mit ebendieser Vergangenheit offenbar abschließen. Wer kann, lernt Englisch, schaut sich nach Jobs in der Wirtschaft oder im Tourismus um. Kein Wunder in einem Land, in dem ein Lehrer auf dem Dorf umgerechnet 30 US-Dollar im Monat verdient. Kambodscha gilt nach wie vor als einer der ärmsten Staaten Asiens.
Bürgerkrieg und Genozid haben eine ganze Generation von Ärzten, Lehrern und Juristen ausgelöscht. Auch jetzt kommt es immer wieder vor, dass Kritiker eingeschüchtert oder gar ermordet werden. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist tief, Alltagssorgen fressen die Menschen auf. "Lasst das mit dem Tribunal doch einfach ruhen", sagt ein junger Mann, der zur Arbeit eilt. "Man sollte lieber dafür sorgen, dass die Wirtschaft angekurbelt wird, dass mehr Touristen kommen und auch die Armen mehr vom Leben haben." Vielleicht ändert sich diese Einstellung noch, wenn die Prozesse im Fernsehen ausgestrahlt werden. Das jedenfalls haben Mitglieder des Tribunals angekündigt.
Der Prozess gegen Duch gilt als Test - vor allem für die marode kambodschanische Justiz. Vielen reicht es allerdings nicht, dass sich nur fünf ehemalige Funktionäre juristisch verantworten müssen. Zwar finde er es richtig, "von der Spitze aus zu starten", sagt der Leiter des Dokumentationszentrums, Youk Chhang. Aber das bedeute nicht, dass jeder, der geringere Verbrechen begangen habe, auf freiem Fuß bleiben solle.
Das Tribunal könne für Gerechtigkeit sorgen, "aber es kann keine Wunden heilen", meint Aktivistin Theary Seng. "Wenn wir all unsere Erwartungen von Heilung, Frieden und Versöhnung auf einen Gerichtsprozess konzentrieren, werden wir enttäuscht werden." Seng wurde in den Verfahren als erste Nebenklägerin zugelassen und will in einer Sammelklage auch andere Hinterbliebene vertreten. "Trotzdem ist dieses Tribunal notwendig, denn es stößt neue Diskussionen an."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour