Prozess gegen „Cumhuriyet“-Journalisten: „Niemand von uns ist frei“

Sieben der Angeklagten müssen nicht im Gefängnis auf das Urteil warten. Doch was ist mit den anderen? – fragt unser Autor, selbst Ex-“Cumhuriyet“-Mitarbeiter.

Ein Mann wird von einer Frau umarmt, im Hintergrund weitere Leute, alle sehen etwas fertig aus

Musa Kart ist vorerst nicht mehr in Haft. Viele andere sind es noch Foto: imago/Depo Photos

Die Entscheidung der Richter, sieben Mitarbeiter der Cumhuriyet aus dem Gefängnis zu entlassen, die anderen vier aber nicht, hat nichts mit Recht zu tun. Alles ist abgekartet in diesem Prozess gegen den Journalismus. Es ist beinahe so, als wäre Gott selbst zur Erde hinabgestiegen und hätte gesagt: „Mein Sohn, der da und die anderen drei bedeuten Ärger. Den Rest aber lass frei, denn nicht einmal ich kann den Grund für ihre Haft erklären.“

Sieben von elf. Statistisch klingt das gut, nur reden wir hier nicht von Statistik. Neun Monate ihres Lebens waren sie ihrer Freiheit beraubt, nur um sich dann gegen eine Anklage verteidigen zu müssen, die Zeitungsnachrichten als Beweise präsentierte – ein politischer Prozess, kostümiert mit Terrorvorwürfen.

Immerhin sieben sind freigelassen. Jeder wäre schon für eine Handvoll Wasser dankbar, auch wenn sie so gar nicht hilft, das Feuer zu löschen, das da wütet. Ein Feuer, das mein Land verbrennt und in Asche zurücklässt. Ein Stückchen guter Nachrichten, bis morgen die Nächsten verhaftet werden.

Sieben Kollegen wurden am Freitagabend aus dem Gefängnis entlassen. Ihre Gesichter im Internetstream, wie sie ihre Lieben vor dem Silivri-Gefängnis umarmten. Irritiert sahen sie aus, aber stolz – sind sie doch durch die Mühlräder dessen gegangen, was von der türkischen Justiz übrig ist. Bärte sind ihnen gewachsen, sie haben abgenommen. Ich fragte mich, ob wir jemals wieder beisammen sitzen und Rakı trinken würden.

Frei sind sie jetzt, doch in ihren Gesichtern ist etwas anderes zu lesen. Niemand von uns ist frei. Als Nation sind wir eingesperrt. Eingesperrt sind die, die ein Gewissen haben. Eingesperrt von der Angst jener, die so eifrig jede Stimme unterdrücken, die nicht ihre eigene ist. Sie tun das gegen die Kraft der Natur, gegen den Lauf der Zeit, sich zehntausenden Jahren menschlichen Fortschritts widersetzend.

Sieben freigelassen, doch was ist mit den anderen? Die zahllosen Seelen, die nicht in einem Rausch davon schreiben können, die Zurückgelassenen. Wie der, der gar nicht für Cumhuriyet arbeitet und aus irgendeinem lächerlichen Grund Teil des Prozesses wurde. Was ist mit den prokurdischen Abgeordneten, was mit den anderen angeblichen Terroristenfreunden und Putschisten, was ist mit den Geiseln: Deniz Yücel, Meşale Tolu, Peter Steudtner… Wie lange ich feiern könnte.

Zufrieden damit zu sein, dass es zumindest einen Rest Gerechtigkeit in diesem Land gibt. Um sich plötzlich zu erinnern, dass dieser Akt der Gnade kein Sieg ist. In einem Land, das nicht mit Bürgerrechten, sondern im Ausnahmezustand regiert wird. Wo Angeklagte keine Menschen, sondern Objekte der Propaganda sind. Ein Rest Gerechtigkeit: Als ob Ankläger und Richter sich in einem lichten Moment entschieden hätten, das Joch des Regimes und seines ganzen Irrsinns abzulegen. Als ob es überhaupt je eine echte Grundlage gegeben hätte, jene zu anzuklagen, die die Wahrheit im Munde führen.

Einsperren und freilassen. Was ist mit Murat Sabucu and Akın Atalay, die den jungen Kollegen bei Cumhuriyet Halt und Unterstützung gaben und sich im Angesicht all der Drohungen noch tiefer in ihre Arbeit gruben? Was ist mit Ahmet Şık, der zurück in seine Zelle in Silivri geschickt wurde? Was er zu seiner Verteidigung vor Gericht vortrug, wird in nicht allzu ferner Zukunft Beweismaterial im Prozess gegen das AKP-Regime sein. Was ist mit ihnen? Ich sehe sie vor meinem inneren Auge: Frei, wie sie durch die Räume des verblassenden Cumhuriyet-Gebäudes gehen, wo zu arbeiten ich einst die Ehre hatte.

Frag einen frei denkenden Türken, der dir gegenübersitzen mag, wie es ihm geht. Das ständige Gefühl an der Klippe zu stehen, als würden wir warten, darüber gestoßen zu werden. Doch fallen werden wir nicht. Der Kampf geht weiter, auch ohne die anderen. Wie soll man ruhen um vier in der Nacht, wissend, dass der nahe Morgen nur die neueste Tragödie bringt?

Gewiss, der Fisch stinkt vom Kopf her. Nicht zu vergessen sind die Tausenden Richter und Staatsanwälte, die selber in Angst leben, unter Druck und hilflos. Wie all die anderen, die als untätige Zeugen des Wahnsinns dabeistehen. Jeden Tag schmieren sie die zerstörerische Maschine. Eine endlose Kette gehorsamer, hoffnungsloser, von Grund auf schuldbeladener Jammerlappen, die Menschen Zeit aus ihren Leben stehlen. Verfolgen wird sie das, was sie hervorzubringen halfen, wenn es schon lang vergangen ist. Denn die Geschichte, die bewegt sich nur in eine Richtung.

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