Provozierende Gefälligkeit

■ Theater Klappsitz spielt »Die Nazisirene« von Andreas Marber im Theater Zerbrochene Fenster

Die Bühne im Theater Zerbrochene Fenster ist wie für eine Personality-Show leergeräumt: ein Mikrophon einsam in der Mitte, links ein Barhocker, rechts ein Klavier mit altertümlicher Kerzenbeleuchtung nebst verhuschtem Pianisten. Die Atmosphäre läßt ein großes schwarzes Loch, das einzig der Künstler, der Star zu füllen vermag, und dezent hält sich alles zurück, was den Glanz, den Zauber mindern könnte. Und nach einigen Anfangsschwierigkeiten — ein Feuerzeug aus dem Publikum muß aushelfen, den Kerzenschein am Piano zu entfachen — ist es dann soweit: S i e kommt...

...und vor uns steht ein halsloser Vamp mit grellroter Perückenpracht; das schwarze Abendkleid, die grobe Perlenkette, die weiße Federboa betonen das tonnenförmig Vollschlanke mehr, als daß sie es verdecken könnten. Das Gesicht in stoischer Erstarrung glänzt weißfett und künstlich schillernd: eine Puppenmaske aus kühlem Porzellan, mit einem kalten Hauch von Totenmasken, der frösteln macht.

Dann beginnt der Mund zu reden: »Ich bin Zarrrrahh Leannnnderrr!« Der Satz kommt aus tiefen unerforschten Zonen ungestillter, unstillbarer Sehnsucht. Das Zungen-R rollt gleich ganze Gebirge ungefügen Weh- und Schwermuts auf und nieder; die zweite Silbe von »Leander« schwingt sich schwer vernäselt zu fremden Klippen unbekannter, uneingestandener Träume auf und verrollt dann zur letzten R-Silbe, die alles Hoffen unheilschwanger im Vagen beläßt. Ja, so hat sie gesprochen: die große Zarah, der Megastar der Ufa, der Schmachtvogel deutscher Frontsoldaten, denen zuvor Marlene Dietrich den Dienst versagte.

Doch was da vor dem Mikro steht, ist zunächst einmal nicht das naturgetreue Abbild der großen Zarah, sondern ein Monstrum — unwirklich, mit dem toten Zauber eines Vampirs, kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine artifizielle Kunstfigur, deren Leben ein erstarrtes Bühnenleben ist, deren Blut nur im grellen Scheinwerferlicht zu zirkulieren beginnt, deren Atem nur hundertmal Geprobtes spontan herausschleudern kann.

Das soll Zarah Leander sein? Nein, das ist eine Hülle, die sich des altbekannten Flimmers einer bekannten Persönlichkeit bedient, um, mit einigen historischen Daten garniert, markige Sprüche zum Hitlerdeutschland abzusondern und im übrigen über das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit zu schwadronieren; ästhetische Spekulation treibt die Rede vorwärts und beendet sie auch schließlich: Was muß Kunst, was darf Kunst, was soll Kunst...

Andreas Marbers Monolog Die Nazisirene nimmt sich die konkrete Person, um über die moderne Disposition von Kunst zu handeln: eine äußerst schwache Disposition, die ihre Stärke allein daraus bezieht, ihre Schwäche unverhohlen einzugestehen. Die Vorgabe ruft zur Nagelprobe auf — vor Ort und jetzt und heute: denn wer sich traut, die Unterwürfigkeit der Kunst — und sei es auch der unterhaltsamsten — kritisch zu beleuchten, der gerät ins schiefe Licht, wenn er am frei gewählten Ort in das gleiche Loch hineinfällt, das zu beleuchten er den frechen Strahler anknipste. Der Schauspielerin Roswitha Dost, die sich dem gealterten Star anverwandelt hat, wird die problematische, schier unlösbare Aufgabe zuteil, das nostalgische Flair der historischen Zarah zu schaffen, ihre Lieder mit perfektionierter Inbrunst zu singen und gleichzeitig sarkastische Sprüche abzusondern (»Darf es Sünde sein, daß Deutschland einmal alles vergas/ß«) und tiefgründelnde Philosopheme auszuspucken (»Ich trete immer in Fettnäpfe, weil ich unpolitisch bin«). Darüber hinaus muß sie einerseits mit dem Publikum divenhaft schäkern (»Ihr liebt mich doch alle«), es andererseits kräftig provozieren (»Sprecht alle mit: Deutschland, mach die Beine breit, die Rüstungsindustrie hat einen Steifen«). Einerseits buhlt sie durch die adäquate Interpretation der Lieder um die Gunst der Zuschauer ( »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen«, »Kann denn Liebe Sünde sein«), um dann andererseits im wilden Ausbruch die Paradoxie in die Emotion zu betten. (»Ich bin ein Streifen jungfräulichen Zelluloids: belichtet mich. Ich bin hohl, füllt mich auf.«)

Am Ende bleibt dann alles dem Publikum überlassen: »Ich bin die Handlung, ihr seid der Rahmen.« Natürlich, wir — das Publikum — sind es, die den Sinn der theatralen Unternehmung komplettieren — retten aber können wir ihn nicht. Der Verdacht, daß hier die Anbiederung an nostalgische Gefühle eine ungesunde Ehe mit der Ausdrucksnot ästhetischer Spekulation eingegangen ist, macht sich im Laufe des Abends allmählich immer breiter, bis am Ende (Gott sei Dank?) das Amüsement obsiegt. So war bei der Premiere zu beobachten, wie blinde Nostalgie den kritischen Ansatz schier erschlug und eine Reihe unerschrockener Leander-Fans den Liedervortrag eifrig goutierten und die Möglichkeit zur Boshaftigkeit mit deutscher »Ich hau' mir auf die Schenkel«-Genügsamkeit nachhaltig torpedierten. Gefälligkeit behält die Oberhand und machte gerade damit die Unternehmung zweifelhaft, wenn nicht gar obszön.

Sind in Zarahs Liedern die Worte Liebe, Glück und Herz die häufigsten und rechtfertigen damit den einfachen Anspruch, im Amüsement aufzugehen und in zielloser Rührung und ungedeckter Sehnsucht zu schwelgen, so gelangen in dem Text von Andreas Marber die Worte Faschismus, Hitler, Politik u.a. zu keiner Qualität als ebender, das Amüsement intellektuell abzufedern.

Ein Irrtum? Ein Mißverständnis? Gewollte Verstörung oder gestörte Unterhaltung? Zur allgemeinen Unentschiedenheit am Ende noch ein bißchen Hohn: daß der Premierenbeifall schließlich noch eine rein gesangliche Zugabe provozierte, war wie ein letzter Tritt ins Gesicht derer, die hier mehr erwartet hatten. Der Autor, von der Diva gerufen, zeigte sich am Ende nicht. baal

Weitere Vorstellungen: bis 30.3. Fr./Sa. um 22.30 Uhr, So./Mo., 21.00 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstr. 3, Kreuzberg