: Provisorium als Zentrum der Welt
Stadion-Neubauten, Parkanlagen und ein Etat von 1,5 Milliarden Dollar: In drei Wochen beginnen in Atlanta die 24. Olympischen Spiele. Was wird bleiben? Die städteplanerischen Maßnahmen sind eine Enttäuschung ■ Von Wulf Eichstädt
Für einen Europäer ist es nicht leicht, mit Atlanta umzugehen – der Stadt ohne Stadt, dem Downtown- Komplex mit der heroischen Silhouette mitten in grüner Vorstadtlandschaft von 100 x 100 Kilometern, in der sich das Wohnen versteckt. Atlanta wirbt selbst gerne mit dem Etikett der Dreimillionen-Metropole. Was man findet, ist eine Innenstadt (Downtown) und ein Innenstadt-Randgebiet (Midtown) von jeweils 200 Hektar Ausdehnung, mit unterschiedlich dicht gestellten Hochhäusern neben Parkhäusern und Parkplätzen, umflossen von einem System zwölfspuriger Autobahnen, auf dem morgens zwischen 8 und 9 Uhr rund 200.000 Angestellte an ihre Büroarbeitsplätze sollen.
Das weithin sichtbare Atlanta könnte bequem auf der Fläche des Tiergartens und der anschließenden Friedrichsstadt untergebracht werden. Dort, wo in Berlin die Stadt erst anfängt, also am Zoo oder am Schloßplatz, ist die Stadt in Atlanta bereits zu Ende – bzw. verläuft sich in hinter Bäumen verborgenen Eigenheimgebieten.
Weil man als Besucher diesen Widerspruch zwischen Etikettengröße und räumlicher Erlebbarkeit spürt, bekommt man nur schwer ein richtiges Gefühl für die wirkliche Größe der Stadt. Die administrative Wirklichkeit ist noch komplizierter. Danach hat die eigentliche Stadt Atlanta nach einer kontinuierlichen Stadtflucht nur noch ca. 390.000 Einwohner (vergleichbar mit Bochum oder Wuppertal), und die übrigen 2,6 Millionen leben in einer Großregion, die so groß ist wie der Raum zwischen Eberswalde und Zossen/Jüterbog in der Nord-Süd- sowie Brandenburg/Havel und Fürstenwalde in der Ost-West-Ausdehnung. Man lebt also mit einer ähnlich großen Einwohnerzahl wie Berlin auf einer zehnmal so großen Fläche. Unterteilt ist diese Metropolitan Area in 20 eigene Gemeindebezirke mit 110 Vorstadtdistrikten: Marietta, Doraville, Lake City und viele andere – Siedlungen, die der Tourist nie zu sehen bekommt, die jedoch über den Highway-Ring Nr. 285 miteinander und durch fünf Highway-Radialen mit dem Zentrum von Atlanta verbunden sind – ein unermüdliches Drive-in-Drive- out-System. Der öffentliche Verkehr ist diesem raumgreifenden Autobahnnetz hilflos unterlegen; das bisher ausgebaute Schnellbahn-System, bestehend aus einem sich im Zentrum schneidenden Achsenkreuz, erreicht nur die Siedlungen innerhalb des Rings mit insgesamt 31 Haltestellen.
Stadtführer ohne Orientierung
Neben dieser Geographie aus Siedlungsflecken, Verkehrswegen und Gemeindegrenzen bestimmt noch eine andere markante Linie die Entwicklung von Stadt und Region: die Grenze zwischen schwarzen und weißen Siedlungsgebieten. In der Zeit der Sklaven-Gesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich diese Linie gebildet und bisher kaum verändert. Sie verläuft in Ost-West- Richtung etwa in der Mitte der Stadt. Die Nordregion wird beansprucht von der in der Stadt zur Minderheit gewordenen weißen Bevölkerung (37 Prozent), während die Südregion schon immer Wohnort der schwarzen Bevölkerungsmehrheit gewesen und geblieben ist – ein eigener Raum, der von den Weißen allenfalls mit dem Auto durchfahren, aber niemals betreten wird.
Der Weg zu den Olympia-Bauten in Atlanta ist nicht weniger einfach. Wer sich noch in Deutschland auf eine entsprechende Reise vorbereiten will, trifft bisher nur auf Achselzucken in den Architektur- Buchhandlungen – keine Publikation, kein zitierfähiger Fachzeitschriftenaufsatz, kein Faltblatt. In Atlanta ist es das gleiche: Eine Publikation gibt es noch nicht. Die Stadtführer und Stadtpläne – auch mit dem eingedruckten Veröffentlichungsjahr 1996 – schweigen sich aus und enthalten nicht einmal Standortnachweise.
Das Vorbereitungskomitee für die Olympischen Spiele beansprucht alle Publikations- und Verwertungsrechte zum Thema, klagen die Architekten vom Amerikanischen Institut für Architektur (A.I.A.), die 1993 den voluminösen Architekturführer für Atlanta herausgegeben haben und einen kurzen Olympia-Führer nachschieben wollten. Also muß man sich von einheimischen Ortskundigen Kreuzchen in den verwirrenden Stadtplan machen lassen, damit man wenigstens die zentralen Highlights findet: Olympia-Stadion, Olympic Park, Olympisches Dorf, das Center für Hallenveranstaltungen, Aquatic Center oder Hockey-Stadion. Viele andere Stätten sind verstreut außerhalb der Stadt untergebracht, wie das Tennis-Center, das Ruder- und Kanuzentrum, das Velodrom, der Schießsport-Komplex, die Bogenschießanlage sowie das Segler-Revier im 400 Kilometer entfernten Savannah.
Stadion bei Sonnenuntergang
Das Leichtathletik-Stadion, Ort der Eröffnungs- und Schlußveranstaltung, liegt ca. 2 Kilometer südlich der Innenstadt neben einem älteren Baseball-Stadion und der ausgedehnten Farbigensiedlung „Summerhill“. Ohne Wettbewerb vergeben an ein Konsortium regionaler Architekturbüros, ist das im Mai eingeweihte Stadion ein uninspirierter Stahlskelett-Bau mit einer historischen Tapete davor. Während die südliche Hälfte des Stadions sich mit drei Rangzonen bis zu einer Höhe von 40 Meter aufschwingt, bleibt die nördliche, stadtzugewandte Hälfte mit zwei Rangzonen und etwa 20 Meter Höhe deutlich darunter. Der dritte Rang der Südkurve, vor allem in den obersten Reihen, wird damit zum Logenplatz für die Betrachtung der allgegenwärtigen Downtown-Silhouette, die hinter dem davorliegenden, nichtolympischen Fulton-Stadion auftaucht. Das ist raffiniert! Tausende von Kameraleuten werden für diese Einstellung – vor allem bei untergehender Sonne – dankbar sein.
Sonst ist nichts! Die Einfügung in die Umgebung wirkt provisorisch. Die Verkehrsanbindung ist mangelhaft (kein S-Bahn-Anschluß), und Summerhill ist ziemlich lieblos beiseite geschoben, weil zwischen Stadion und Siedlung ein Megaparkplatz ausgebaut werden muß. Der hier abgelaufene Verdrängungskonflikt ist nur noch mit Hilfe alter Stadtpläne nachvollziehbar. Später soll das Stadion zurückgebaut werden und das davorliegende Baseball-Stadion ersetzen, das dann abgerissen wird.
Die Großhallenkomplexe Omni und Georgia Dome, westlich neben der Innenstadt gelegen, gehören zusammen mit dem danebenliegenden Kongreßzentrum und dem Headquarter des Medienkonzerns CNN zu dem Startkapital der Olympiabewerbung Atlantas. Da Atlanta sich schon in den 60er und 70er Jahren mit Hilfe seines überdimensionierten Flughafens, von dem aus jede amerikanische Stadt direkt erreicht wird, als Stadt der Zusammenkünfte aller Art profiliert hatte, verfügt es über eine außerordentliche Hotelkapazität und eben diese Veranstaltungskathedralen, von denen der zwischen 1989 und 1992 errichtete Georgia Dome, ein überdachtes Stadion mit 70.000 Sitzplätzen, die größte Anlage dieser Art in Amerika ist und alles in den Schatten stellt, was in Europa in dieser Sparte jemals gebaut wurde. In dieser Großhallenlandschaft sollen die verschiedenen Hallensportarten ausgetragen werden, und man kann erwarten, daß das perfekt funktioniert, zumal Aktive und Zuschauer ihre Hotels in der anschließenden Innenstadt quasi zu Fuß erreichen können. Aber auch für den amerikanischen Normalbesucher mit dem Auto ist gesorgt, da das ganze Ensemble auf einem Sockel mit mehreren Parkebenen liegt.
Freunde von ausladender Unwirtlichkeit werden an dieser Unterwelt, durch die auch Güterzüge rollen, ihre Freude haben. Zu verstehen ist das Szenario nur, wenn man weiß, daß Atlanta sein innerstädtisches Eisenbahnnetz vor über 100 Jahren nicht auf Dämmen oder in Gräben verlegt hat, sondern ebenerdig, so daß mit der Zunahme des Straßenverkehrs das Chaos an allen Bahnkreuzungen ausbrach. Konsequenz war, daß man in den 20er Jahren größere Teile der Innenstadt auf die Ebene des 1. Stockwerks verlegte und die Unterwelt der Bahn überließ.
Diesen „doppelten Boden“ haben sich die Veranstaltungshallen am Kongreßzentrum zunutze gemacht und die Unterwelt prallvoll mit Stellplatzebenen ausgefüllt. So haben die Atlanta-Planer an dieser Stelle etwas zustande gebracht, was in Europa bisher selten gelungen ist: eine „neue Stadt über den Gleisen“ und eine monströse Hallenlandschaft, die nicht nur 50.000 und mehr Zuschauer fassen kann, sondern dies auch noch mit der Garantie verbindet, daß keiner mit dem öffentlichen Verkehr kommen muß. Aber der Preis für diese Monokultur ist hoch. Nur kurz vor und kurz nach einer Veranstaltung sieht man Menschen in diesem Quartier. Sonst herrscht die Stille einer Geisterstadt.
Naherholung im Gewerbepark
Der Fokus der Olympischen Spiele soll der „Centennial Olympic Park“ werden, der nordöstlich zwischen dem World Congress Center und der Innenstadt, den Hoteltürmen der Teachtree-Street liegt. Hier wird versucht, die unwirtliche Struktur des ehemaligen Bahngeländes unter und neben der Hallenlandschaft zu kultivieren. Der Olympic Park ist die zentrale Gestaltungsmaßnahme im öffentlichen Raum der Stadt.
Das Parkgelände, besteht aus sechs ehemaligen kleineren Gewerbeblöcken und einem stillgelegten Straßenabschnitt. Bei einer Ausdehnung von ca. 400 x 200 Metern soll es nach dem Willen des Vorbereitungskomitees und des Bürokonsortiums aus Atlanta, das den Platz entworfen hat, in seinem Zentrum eine Plaza mit der Fontäne der Olympischen Ringe und einen Fahnenhof zu Ehren der 23 vorangegangenen Ausrichterstädte erhalten. Doch davon ist einen Monat vor Beginn der Spiele noch nicht viel zu sehen, da die Bauarbeiten in vollem Gange sind. Was man sieht, ist eine große zentrale Fläche mit Zeltbauen der verschiedensten Konstruktion und Größe, die offentlichtlich für Medien und VIPs vorbereitet wird, sowie einen großen eingezäunten Jahrmarkt, beherrscht von Coca- Cola, die über die Merkantisierung der Spiele, der Verkauf von T-Shirts und Aschenbechern mit dem Emblem der Spiele von Atlanta, verfügt.
Hier in dem Baustellen-Wirrwarr des Olympic Parks wird eindringlicher als in den anderen Projekten deutlich, daß die Spiele von Atlanta nicht die Spiele einer Stadt oder eines Landes, sondern die Spiele eines privaten Sponsoren- Clubs sind (Coca-Cola, CNN, Delta Airlines und South Bell, der großen Telefongesellschaft), der natürlich auch die Vorbereitung dominiert. Aufgrund seiner Lage „im Rücken der Stadt“ neben Industriegleisen und verwahrlosten Gewerbeflächen wird der Olympic Park es nach den Spielen schwer haben, sich als städtischer Erholungsort zu etablieren – dazu sind seine Ränder zu unbedarft und kommunikationsfeindlich. Erst wenn um ihm herum ein neuer Stadtteil entsteht, kann er diese belebende Rolle vielleicht erhalten.
Athleten in strengen Wohnblöcken
Etwa ein Kilometer nördlich des Olympic Parks, eindeutig außerhalb der Innenstadt, vom auflebenden Innenstadtrand-Bezirk Midtown durch eine zwölfspurige Autobahn getrennt, am Fuß des großzügig durchgrünten Campus der Technischen Universität von Georgia, liegt das Olympische Dorf, die Unterkunft der Athleten: ein etwa 300 Meter langer zehngeschossiger Block, im altenglischen Stil – oder wie immer diese Ziegelwand-Steinsims- und Giebelarchitektur in den Südstaaten genannt wird – direkt neben der Autobahn. Außen 30 Meter hohe Häuserwände, bei denen man sich spontan an Lagerhäuser erinnert fühlt, und innen ein grüner Hof.
Es wird einem erläutert, daß sich der später als Studentenwohnheim konzipierte Gebäudekomplex in die Architektur der nur aus zweigeschossigen Häusern bestehenden Technischen Universität einfügen soll. Die Gestaltungsintention versteht man jedoch erst, wenn man die in den Hotels ausliegenden Maklerkataloge für Einfamilienhäuser studiert hat. Ziegel-/ Steingesimse und mindestens drei Ziergiebel sind das Standardoutfit der suburbanen Architektur, während die zehn Geschosse der Innenstadtnähe und dem privaten Engagement geschuldet sind.
Das Olympia Housing Project, wie es offiziell heißt, macht noch eine andere Komponente der Olympia-Vorbereitung in Atlanta deutlich: „die Planung mit den Endnutzern“. So hat man sich hier, anders als z.B. in Berlin 1990 bis 1992, in der immer das Land als Endnutzer und Endverantwortlicher auftrat, von Anfang an darauf konzentriert, Vorhandenes zu nutzen und Neues nur dort zu realisieren, wo ein eindeutiger, alle Folgekosten übernehmender Endnutzer dingfest gemacht werden konnte. Darum die verstreuten Standorte, darum die langen Wege.
Der große Mann hinter den Spielen
Der Sage nach hatte der private Geschäftsmann Billy Payne eines Morgens 1989 die Idee, die Spiele nach Atlanta zu holen, telefonierte kurz mit seinem Bekannten aus dem Big Business der Stadt, und schon war die Sache gelaufen. Billy Payne, der Privatmann ist auch heute noch der uneingeschränkte Häuptling der Vorbereitungsarbeit, er ist der Mann, der dem Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, Al Gore, und dem Präsidenten des IOC, Samaranch, bei der Eröffnung des Stadions auf die Schulter klopft, während der farbige Bürgermeister der Stadt, William Camphell, und sein berühmterer Vorgänger, Andre Young, der Mitstreiter von Martin Luther King, wie die Schuljungen auf ihren Stühlen sitzen.
Ähnlich verteilt sich auch die Macht in den einzelnen Vorbereitungskomitees. Das „Atlanta Committee for the Olympic Games“ (ACOG), dem Payne seit 1990 als Präsident vorsteht, ist eine rein private Gesellschaft, die für Vorbereitung und Durchführung der Spiele allein verantwortlich ist und über den vieldiskutierten freifinanzierten 1,5-Milliarden-Dollar-Etat verfügt, in dem noch immer eine Deckungslücke von 100 bis 200 Millionen klafft. Wer diese Gesellschaft neben den Chefs der Sponsorenfirmen exakt kontrolliert, wurde in den bisher erschienenen Vorberichten nie wirklich ergründet.
Daneben gibt es noch zwei öffentlich kontrollierte Gesellschaften: die Organisation der Region, die „Metropolitan Atlanta Olympic Game Authority“ (MAOGA), und die Organisation der Stadt, die „Corporation for Olympic Development in Atlanta“ (CODA), die über einen Etat von etwa einem Zehntel des Payne-Budgets verfügt und davon neben dem Sicherheitskonzept auch Straßenbegrünungen, Besucherzentren und Fußgängerbrücken finanziert.
Zwischen dem privaten Vorbereitungskomitee und den im öffentlichen Auftrag tätigen Gesellschaften besteht folgende Arbeitsteilung: Die einen machen die Spiele, und die anderen machen den Rahmen dazu. Für Billy Payne ist es darum einfach, aufkommende Kritik an Mängeln der Verkehrserschließung und fehlenden sozialen Integrationskonzepten an die anderen beiden Organisationen zu delegieren, die sich ihrerseits mit fehlenden Mitteln in den Gemeindeetats entschuldigen.
Globales Dorf für zwei Millionen Besucher
Das Erfolgsziel der Vorbereitung wird mit drei Zahlen immer wieder herausgestellt: Durch Olympia werden für zwei Milliarden Dollar Bauinvestitionen realisiert, die es sonst nicht geben würde. Erwartet werden zwei Millionen Besucher während der 17 Tage im Juli. Das Ganze soll, Vorbereitung und Durchführung zusammengenommen, einen volkswirtschaftlichen Nutzen in der Größenordnung von fünf Milliarden Dollar stiften, eine Zahl, die zwar wegen der vielen Nebeneffekte niemand kontrollieren kann, die jedoch auf relativ plausiblen Annahmen beruht.
Und sonst? Da der öffentliche Anteil, den sich Stadt, Region, Land und Bund teilen, mit 400 Millionen Dollar relativ gering ist, gibt es keine neuen Stadtbahnlinien, keine sanierten Quartiere und keine leistungsfähigeren Infrastrukturen – keinen Modernisierungsschub als Investition für die Zukunft. Voraussichtlich besteht der stadtpolitische Nutzen für Atlanta zur Zeit nur darin, daß man über die eigene Stadtentwicklung etwas nachdenklicher geworden ist. Auslöser sind dabei weniger die einzelnen Olympia-Projekte und die Koordination, sondern die Sicherheitslage innerhalb der Stadt, vor allem in den Zentrumsbezirken. Aufgrund der starken Segregation und der immer größer werdenden Arbeitslosigkeit in der schwarzen Bevölkerungsmehrheit hat Atlanta die höchste Kriminalitätsrate in den Vereinigten Staaten, eine Tatsache, die nicht vertuscht wird, sondern sogar schon in jedem neueren Reiseführer nachgelesen werden kann.
Mit verstärkten Security-Diensten allein, die während der Olympischen Spiele allgegenwärtig sein werden, ist diesem Problem nicht beizukommen, das weiß auch die Stadt, sondern es muß etwas geben, das die Segregations- und die Stadtfluchtspirale zurückdreht und das Zentrum auch außerhalb der Bürozeiten wieder mit Leben erfüllt. Dafür braucht man kommunikative Orte, für die mit den neu geschaffenen Alleen und dem Olympic Park erste Ansätze geschaffen worden sind – und man braucht vor allem Menschen, die bereit sind, in der Innenstadt zu wohnen und diese auch nach 18 Uhr und an Feiertagen zu ihrem Lebensmittelpunkt machen.
Olympia schont öffentliche Kassen
Daß es gegen den Strom der Segregation nur diese eine Lösung gibt, hat man in Atlanta offensichtlich begriffen und auch die öffentlichkeitswirksame Programmzahl von 25.000 neuen Wohnungen für die Innenstadt genannt. Auch der Ort für diesen Großeinsatz der Revitalisierung ist abgesteckt: das etwa 50 Hektar große Zentrumsrandgebiet zwischen Olympischem Park und Olympischem Dorf.
Da es öffentliche Förderung nur in sehr beschränktem Umfang gibt, wird auch dieses Großprojekt im wesentlichen privat finanziert und gemanagt werden müssen. Ob dabei wirklich ein neues Stück Stadt entsteht, als Impulsgeber für das bisherige Zentrum oder nur eine Ansammlung von Drive-in-Burgen mit höchstem Sicherheitsstandard für den Mittelstand, werden die nächsten zehn Jahre zeigen.
Die Olympia-Vorbereitungen in Atlanta demonstrieren, daß die Ausrichtung der Spiele in Amerika keine öffentliche Angelegenheit, sondern ein privates Geschäft ist, das man am liebsten mit Gewinn betreiben möchte. In der Kalkulation der Veranstalter spielt dabei die TV-Vermittlung, bei mehreren Milliarden Zuschauern auf der Welt, eine immer größere Rolle, während der Ort des Geschehens zurücktritt. Auch wenn diese Gewichtsverlagerung von vielen bedauert werden wird, wird die in Amerika vorgeführte Schonung der öffentlichen Kassen auch bei uns Anhänger finden.
Auch wenn man vieles vorher wußte, ist man enttäuscht, weil unsere europäischen Erwartungen an eine Olympia-Stadt in Atlanta nicht Programm sind und Amerika selbst offensichtlich nicht motiviert ist, die eigene Zukunftsfähigkeit öffentlich darzustellen.
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