Provinz probt Normalität: Rebellierende Biker-Brüder
Langsam bewegt man sich auf dem Brandenburgischen Land wieder in Richtung Alltag. Im Eiscafé wagen ein paar Senioren ein Abenteuer.
L angsam stellt sich wieder so etwas wie Normalität ein. In der zurückliegenden Woche habe ich nach mehr als zwei Monaten meine erste Reise mit der Berliner S-Bahn von der Brandenburger Provinz in die Hauptstadt unternommen. Und was soll ich sagen? Es war okay. Und schön ruhig.
Wegen des Sicherheitsabstands gibt es gerade keine Hakeleien mit sitznachbarlichen Zeitgenossen, die es sich vor und nach Feierabend auf schmalen Sitzen erst mal richtig gemütlich machen wollen. Lediglich ein Mitreisender, Angehöriger der jüngeren Generation, fand es offenbar unzumutbar, seinen Mund-Nase-Schutz zu tragen. Die Strafe in Person eines Ticketkontrolleurs folgte auf dem Fuße – mit dem hatte ehrlich gesagt auch ich nicht gerechnet. Bezahlt hatte ich trotzdem. Ich war auch schon mal wagemutiger.
Sei’s drum, die Reise verlief störungsfrei. In der taz-Redaktion angekommen, traf ich auf wenige versprengte KollegInnen. Wir erfreuten uns unseres Wiedersehens, der angenehm aufgeräumten Teeküche sowie der summseligen Stille im Großraumbüro. Kaum vorstellbar, dass es hier mal wieder so wuselig sein wird wie vor neun Wochen. Aber das wird. Das wird.
Am Wochenende machten der Mann und ich dann einen Ausflug in die Schorfheide. Das weitläufige Waldstück in Brandenburg kennt man – wenn überhaupt – von Erzählungen der Art, dass hier zu DDR-Zeiten die Mitglieder des SED-Politbüros der Jagd fröhnten. Und tatsächlich, bei der Anreise durch knallgrüne Buchenwälder schien es uns gar nicht mal abwegig, dass jeden Moment Erich Honecker aus der Schonung treten könnte. Das Gewehr über der Schulter, die Tschapka auf dem lichten Haar und gut gelaunt über eine kurze Ansprache an die Jagdhelfer sinnierend, die ihm zuverlässig den Rothirsch vor den Lauf schieben.
Erdbeereis und Abenteuer
Aber Honecker ist längst gestorben, und auch Schüsse waren keine zu hören. Stattdessen Motorräder, die mit voller Dezibelzahl durch die sonnendurchflutete Schorfheide brausten. Am Parkplatz neben dem Eiscafé angekommen, dauerte es eine kleine Weile, bis die Fahrer sich von ihren Gefährten gewuchtet hatten. Kein Wunder, es waren sieben Senioren, deren archaische Erscheinung sich vor allem den Protektoren an ihrer schwarzen Kluft verdankte. Auf den Hinweis der Bedienung, im Café doch bitte den Corona-Abstand einzuhalten, erwiderten sie lauthals lachend, sie seien sämtlich miteinander verwandt. Höhö! Echte Corona-Rebellen also, die sich bei Cappuccino und Erdbeereis für neue Abenteuer stärkten.
Der Mann und ich saßen am Nebentisch dabei und erfreuten uns ebenfalls unserer wiedergewonnenen Leichtigkeit. Nicht auszudenken, sagte ich, die Coronapandemie wäre, sagen wir, Ende Oktober ausgebrochen, um dann direkt in den grauen November und den lichtlosen Dezember überzugehen. Spätestens im Januar wären alle ausgetickt. Aber hör nur, wie dröhnend die Biker-Brüder lachen. Hoffen wir das Beste.
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