Provinz-Gentrifizierung auf dem taz.lab: Geht aufs Land, darauf kommts an
Die Stadt als Avantgarde? Pah – viel zu teuer. Der Trend ist nicht in Berlin zu finden, sondern im Umland der Hauptstadt. Raus aufs Land!
Die Torstraße ist vermutlich die hässlichste Straße in der Geschichte der Gentrifizierung. Wenn man nicht betrunken ist, ist die Mischung aus braunen, niedrigen Betonbauten und Mietshäusern aus der Vorkriegszeit schwer zu ertragen. Die Bürgersteige sind seltsam, unnatürlich breit. Selbst mit einigen französischen Restaurants wird der Blick von Schildern gefangen genommen, die Video World und Spätkaufläden bewerben.
Inmitten dieser Landschaft befindet sich jedoch eine Insel teurer Immobilien, ein Vorzeichen von dem, was noch kommen wird. Die Torstraße 140 ist ein Gebäude mit Luxuswohnungen, umgeben von einem Hotel mit einer Boutique namens „Mani“ auf der einen und einem Geschäft mit dem Namen „The Dudes Factory“ auf der anderen Seite.
An „Mani“ stimmt nichts, es fängt schon beim Namen an, der wie eine Abkürzung von Armani klingt: Wenn Aldi Kleidung verkaufen würde, hätte sie einen solchen Namen. Ein Ort wie „Mani“ ist die uncoolste Art von Hotel, die man sich vorstellen kann. Seine bloße Existenz beunruhigt, weil er suggeriert, dass das post-wiedervereinigte Berlin von einem primitiven Zustand antibourgeoiser Boheme direkt in ein Stadium geschmackloser Dekadenz übergegangen ist, ohne eine reife, stabile Zwischenphase.
Jahrgang 1970, Schriftsteller von Beruf, zog 2003 der Liebe wegen nach Deutschland und schreibt unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die New York Times und Gentlemen's Quarterly.
Auf dem taz.lab diskutiert er auf dem Panel "Wunderwaffe Gentrifizierung" und hält eine Lesung zu seinem Buch "Papanaoia".
Berlins Konkurrenten unter den Städten der Welt - London, New York und Paris - sind schon vor Jahren in ihre dekadenten Phasen eingetreten. Aber sie waren zu jener Zeit schon seit Jahren vollständig ausgewachsene Städte. Berlin dagegen ist wie ein Kindersoldat, der in den Kampf geschickt wird, ein armseliger Ort, der nie richtig erwachsen wurde. Berlins plötzlicher Status als ein Ort zum Bau von „Luxus“-Unterkünften läuft nicht besonders gut; all den neuen Projekten haftet ein Gefühl der Gebrauchtheit und der Zweitklassigkeit an.
Berlins Problem als die Stadt, die nie erwachsen wurde, ist: Sie schafft es, ihre am wenigsten bezaubernden Aspekte (Video World, Kasinos, betrunkene englische Touristen, die Bierflaschen zerschlagen) zu erhalten, während sie daran scheitert, mit dem hereinfließenden Geld Schönes zu erschaffen.
Zweitklassige Architekten verschandeln Berlins Stadtbild
Als London und New York unmöglich teuer wurden, heuerten die reichen Leute dort wenigstens berühmte Architekten wie Frank Gehry und Renzo Piano an, um ihre Paläste bauen zu lassen. Währenddessen beschäftigt Berlin No-name-Architekten, um nachgebildete „Konzept“-Wohnkomplexe wie Marthashof im Prenzlauer Berg zu bauen, oder lässt Einrichtungsdesigner wie Philippe Starck ihre Namen mit peinlichen Aufschriften wie „Yoo!“ auf fade Glastürme schreiben, direkt gegenüber dem Berliner Ensemble. Die Bauherren verärgern die Anwohner, indem sie die Preise herauftreiben, ohne den Wert der Stadt wirklich zu erhöhen. Für diejenigen von uns, die Berlin als die letzte Chance für Künstler und Schriftsteller sehen, zu leben und zu arbeiten, ist das schlicht beschämend.
Unglücklicherweise ist das die Art des Westens: Allen coolen Städten ist das passiert. Paris, London – vor allem New York und Berlin haben die Fähigkeit verloren, Gastgeber jener Menschen zu sein (so wie Künstler, Schwule usw.), die sie zu Legenden gemacht haben und die nun Angst haben, dass ihre günstigen Mietverträge auslaufen.
Aber New York, Paris und London werden überleben. Sie sind allgemein als begehrenswerte Orte zum Leben anerkannt. Berlin nicht so sehr. Berlins Charme war immer seine magische Aura der Coolness, wie durch ein eher überbeanspruchtes Zitat seines Bürgermeisters beispielhaft erläutert. Diese Aura ist das Einzige, was Berlin sichtbar von Warschau oder Belgrad unterscheidet. Macht Berlin uncool – und die jungen Leute werden nicht mehr hierher ziehen.Das mag für diejenigen ein reizvolles Szenario sein, die der Touristen und der neuen Bewohner, die keinen Bock haben, Deutsch zu sprechen, überdrüssig sind. Aber wenn die jungen Künstler, Grafikdesigner und die Leute, die sich mit ihnen umgeben möchten, feststellen, dass Berlin seine Coolness verloren hat, wird die Stadt in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
New York und London waren cool, aber sie haben diese Coolness gegen den finanziellen Erfolg eingetauscht. New York hat die Wandlung von der coolen Stadt zum Paradies der reichen Leute erfolgreich geschafft, indem es sich zu einem einladenden Ort für das teuflische Banking-Geschäft gemacht hat.
Ich habe früher in Manhattan gelebt, und es ist mir peinlich zu sagen, dass ich es persönlich genommen habe, als ich sah, wie teuer die Stadt wurde. Ich wusste nicht, dass das auch an anderen Orten geschehen würde. Ich wusste nur, dass sich New York immer wie meine Stadt angefühlt hatte. Ich gehörte zu der Generation junger Amerikaner, die in kleinen Städten weit weg von den großen Metropolen aufwuchsen und von dem New York in den Filmen der siebziger und achtziger Jahre träumten, in dem man sein wahres Selbst finden, die ganze Nacht wach bleiben, bedeutende Bücher schreiben und Kunst machen konnte.
Viele Menschen in Berlin nehmen den Wandel der Stadt persönlich. Es ist ihre Stadt, sagen sie; sie sind hierher gekommen, als die Stadt in wirklich schlechter Verfassung war, oder sie sind hier aufgewachsen. Nun, es ist Zeit, die Klappe zu halten. Jeder, der hierher gezogen ist, als es verrückt billig war, war ein Kolonialist, die Avantgarde für die Immobilienunternehmer und reichen Leute, die jetzt profitieren. Die nichtreichen Leute hier haben drei Optionen: Sie können lernen, mit dem Neuen Berlin zu leben, und abwarten, dass es schlimmer wird. Sie können sich organisieren und gegen die Gentrifizierung ankämpfen (viel Glück dabei auch). Oder sie können auf das Land ziehen, bevor es zu spät ist.
Das Paradise der Coolen liegt in der Kleinstadt
Die dritte Option ist die vielversprechendste. Im Norden von New York gibt es ganze Kleinstädte, die von hippen Menschen in ihren Zwanzigern bewohnt werden. Es ist dort immer noch billig, ein Paradies für coole Leute, mit künstlerischen Tattoostudios, Absinth-Bars und Gebrauchtplattenläden, wo alles fast nichts kostet – wie in den guten alten Tagen Berlins.
Aber jemand muss den ersten Schritt machen. Bis jetzt gibt es trotz der hohen Anzahl von Landlust-Abonnements keine wirkliche Bewegung urbaner cooler Leute zum Land hin. Ich kann euch nur sagen: Tut es jetzt!
So hart wie es für eine Generation ist, die mit urbaner Mythologie erzogen wurde, mit Geschichten von illegalen Nachtclubs und Kunstgalerien und der Neuen Deutschen Welle: Die Stadt – sowohl Berlin als auch im Allgemeinen - ist nicht mehr cool. Die Idee der hippen Stadt – nur noch Klischee. Die Legenden von Künstlern, Architekten und Schwulen, die alte Fabrikhallen entrümpeln, um einen Lebensstil zu erschaffen, der universal attraktiv ist, sind, nun, universal.
Es ist nicht nur in Mitte und im Prenzlauer Berg passiert; die selben Dinge geschahen zuvor im Marais von Paris, im Notting Hill von London und in New Yorks Soho. Berliner haben das Gefühl, dass ihre Stadt besonders und anders ist. Aber Leuten, die großes Geld investieren, ist das egal. Berliner denken, dass sie den Trend der Gentrifizierung stoppen können. Das ist eine Illusion, die auf Gefühlen basiert.
Die Amerikaner dachten auch, sie könnten Afghanistan besiegen.
Verschwindet, solange ihr noch könnt. In 20 Jahren wird die Stadt eine Wüste wohlhabender, alter Investoren sein, die zwischen Plattenbauten umherstreifen und sich fragen, warum sie überhaupt hierher zogen.
Und die Jungen? Sie werden auf dem Land sein. Ich würde auch dorthin gehen, aber ich mag alle anderen hier. Ich möchte nicht der Erste sein, der geht.
Text aus dem Englischen übersetzt von Sophie Fedrau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen