Proteste in Saudi-Arabien: "Schiiten haben Sex mit Minderjährigen"
Unruhe im Ölzentrum: Seit fünf Wochen protestieren die saudischen Schiiten für Gleichbehandlung. Am Wochenende wurde scharf auf sie geschossen. Es gibt Berichte über Folter.
KATIF taz | Sayed Ali*, 28, bereitet sich mit seinen Freunden auf das Ritual am Wochenende vor. Er hat schwarze Kleidung angezogen. "Die sieht man bei Nacht schlecht und man kann dich nur schwer von anderen unterscheiden", sagt er. Und er legt eine schwarze Skimaske zurecht. Im Hintergrund läuft ein iranischer Nachrichtensender in arabischer Sprache. Der Nachrichtenkanal al-Arabia aus Dubai, den die meisten Saudis verfolgen, stelle alles nur aus der Sicht der Sunniten dar, sagt Sayed Ali.
Katif im Osten Saudi-Arabiens hat knapp eine halbe Million Einwohner. Wie im kleinen, gut 60 Kilometer entfernten Inselstaat Bahrain, sind in und um Katif die Schiiten in der Mehrheit. Saudi-Arabien besitzt etwa ein Fünftel der weltweit nachgewiesenen Ölreserven, und fast das gesamte saudische Öl wird in der Ost-Provinz gefördert.
Seit fünf Wochen wird wochenends in Katif demonstriert. Nachdem der Perlenplatz in Manama am 16. März mithilfe saudischer Truppen geräumt wurde, ist die Zahl der Teilnehmer auf mehrere tausend gestiegen.
Sayed Ali, Angestellter einer Bank, einigermaßen wohlhabend und Vater eines neun Monate alten Sohnes, ist einer dieser Demonstranten, die mit der Fahne Bahrains und oftmals vermummt durch die Altstadt von Katif laufen.
Am vergangenen Wochenende schossen Sicherheitskräfte mit scharfer Munition in die Luft und mit Gummigeschossen und Tränengas auf die Demonstranten. Bis spät in die Nacht lieferten sich Polizei und Demonstranten Straßenschlachten. Der saudischen Menschenrechtsorganisation Human Rights First Society zufolge wurden in den Städten Katif und Sahwa sowie in der Oasenstadt al-Hassa, 80 Kilometer im Landesinneren, insgesamt hundert Demonstranten festgenommen. "Es gibt glaubhafte Berichte, besonders in al-Hassa, dass die Festgenommenen gefoltert wurden", sagt der Menschenrechtler Ibrahim Mugaitib.
Behörden zu Foltervorwürfen: Kein Kommentar
Die Behörden haben sich zu den Foltervorwürfen nicht geäußert. Dafür versprach König Abdullah in einer kurzen Rede die Anhebung des Mindestlohns, den Bau von 500.000 neuen Häusern und weitere Sozialleistungen. Außerdem kündigte die Wahlkommission für April die zwei Jahre lang verschobenen Kommunalwahlen an.
Doch an der Dynamik, die diese Proteste inzwischen gewonnen haben, wird dies wohl wenig ändern - zumal der König bei derselben Gelegenheit die Sicherheitskräfte lobte und zusätzliches Geld für die Religionspolizei versprach. Sayed Ali jedenfalls konnte er nicht überzeugen: "Alles, was er versprochen hat, war für das religiöse sunnitische Establishment", sagt er gleich nach Abdullahs Rede. Nur "kosmetische Veränderungen" nennt auch der schiitische Intellektuelle Tawfiq al-Saif die Versprechen des Königs und ergänzt: "Nur konkrete Schritte zur Einführung von demokratischen Reformen können jetzt noch helfen."
"Als sie sahen, dass ich Schiit bin, wurde ich abgelehnt."
Sayed Ali und seine Freunde beschweren sich über Diskriminierung auf vielen Ebenen. Sein Freund Hussein Asseri*, freiberuflicher Computerspezialist beim staatlichen Ölkonzern Aramaco, erzählt, wie er sich um eine Stelle bei einem Staatsbetrieb bewarb: "Ich habe einen Universitätsabschluss mit Auszeichnung. Ich habe alle Hürden genommen, die Bewerbungen, Tests, und nur als sie beim Bewerbungsgespräch gesehen haben, dass ich Schiit bin, wurde ich abgelehnt."
Dass jemand Schiit sei, könne man am Gesicht erkennen, helfen ihm die anderen in der Runde, oder am Namen, oder am Eintrag im Personalausweis, dass man in Katif oder Umgebung geboren sei. "Von einer Karriere in der Polizei, im Militär oder in der Verwaltung können wir nur träumen", sagt Sayed Ali. "Wir wollen endlich gleichbehandelt werden, wie jeder andere saudische Bürger."
Vorurteil: Schiiten haben Sex mit Minderjährigen
Im konservativ-wahhabitischen Islam Saudi-Arabiens gelten Schiiten als Abweichler. Noch heute steht in jedem saudischen Schulbuch, dass sie keine richtigen Muslime seien. Ein in der Hauptstadt Riad weitverbreitetes Vorurteil ist, dass Schiiten Sex mit Minderjährigen hätten und dass man als Sunnit keinesfalls Essen von ihnen annehmen dürfe, weil sie reinspuckten oder es gar vergifteten.
Sayed Ali und seine Freunde glauben jedoch, die Diskriminierung lasse sich vor allem darauf zurückführen, dass die Schiiten in Saudi-Arabien verdächtigt würden, mit Iran gemeinsame Sache zu machen. Die Regierung hat dafür bisher jedoch keinerlei Belege vorlegen können. "Wir sind doch saudische Bürger", sagt er. "Und das werden wir immer bleiben."
* Namen geändert.
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