Proteste in Georgien: EU berät über Lage in Tbilisi
Nach Protesten erwägt die EU, Sanktionen in Georgien zu verhängen. EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sprach auch von möglichen Einschränkungen bei der Visavergabe.
![Demonstranten laufen vor der Polizei davon Demonstranten laufen vor der Polizei davon](https://taz.de/picture/7388287/14/37137436-1.jpeg)
EU-Diplomatin bringt Sanktionen gegen Georgien ins Spiel
Die EU könnte nach Angaben der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas Sanktionen wegen der jüngsten Entwicklungen in Georgien verhängen. Es sei eindeutig, dass Gewalt gegen friedliche Demonstranten inakzeptabel sei und die georgische Regierung den Willen des georgischen Volkes sowie die georgische Verfassung respektieren sollte, sagte die frühere estnische Regierungschefin am Rande von Gesprächen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Man werde gemeinsam mit den Mitgliedstaaten mögliche Konsequenzen erörtern. Als konkrete Beispiele nannte Kallas Sanktionen, aber auch Einschränkungen bei der Visavergabe. Es sei offensichtlich, dass die georgische Regierung den Willen des georgischen Volkes in Bezug auf die europäische Zukunft nicht respektiere, sagte Kallas. Aus ihrer Sicht dürfe es nicht zugelassen werden, dass Georgien damit durchkomme.
EU-Sanktionen können allerdings nur dann verhängt werden, wenn alle EU-Staaten zustimmen. Insbesondere bei Ungarn gilt dies derzeit als fraglich. Grund ist, dass der Ministerpräsident Viktor Orban zuletzt Unterstützung für Kobachidse geäußert hatte. (dpa)
Georgiens Polizei löst Demos erneut gewaltsam auf
In der Südkaukasusrepublik Georgien ist es in der dritten Nacht in Folge zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und regierungskritischen Demonstranten gekommen. Georgischen Medien zufolge setzten die Beamten Wasserwerfer und Tränengas ein, die Demonstranten beschossen die Polizei mit Feuerwerkskörpern. Erst am Morgen gelang es den Uniformierten, die Protestierenden vom Parlamentsgebäude am Rustaweli-Prospekt abzudrängen. Die Menge hat nun Straßensperren nahe der Staatlichen Universität aufgebaut. Die Auseinandersetzungen zwischen der nationalkonservativen Regierung und der proeuropäischen Opposition drohen Georgien zu zerreißen.
Bislang gibt es noch keine offiziellen Angaben zur Zahl der Verletzten und Festgenommenen. In der vergangenen Nacht hatte die Polizei allein in der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) eigenen Angaben nach 107 Menschen wegen Rowdytums festgenommen – auch in anderen Städten wird demonstriert.
Hintergrund der Proteste sind die von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlen Ende Oktober, bei der sich die Regierungspartei Georgischer Traum zum Sieger erklären ließ. Die Opposition hat die Wahlergebnisse nicht anerkannt – und weigert sich, ihre Mandate anzunehmen. Befeuert wurden die Proteste von Regierungschef Irakli Kobachidse, der ankündigte, die Beitrittsverhandlungen mit der EU, der er Einmischung und Erpressung vorwarf, bis 2028 auf Eis zu legen. Die Mehrheit der Bevölkerung will Umfragen zufolge in die EU. Der Beitritt ist auch in der Verfassung als Ziel festgeschrieben. (dpa)
USA setzen strategische Partnerschaft mit Georgien aus
Als Reaktion auf die politischen Entwicklungen in Georgien setzen die USA ihre strategische Partnerschaft mit der Südkaukasusrepublik vorübergehend aus. Die Entscheidung der prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, sei ein „Verrat an der georgischen Verfassung“, teilte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, auf der Online-Plattform X zur Begründung mit. Man verurteile auch „den übermäßigen Einsatz von Gewalt gegen Georgier, die ihr Recht auf Protest wahrnehmen“, hieß es weiter. (dpa)
Präsidentin will ohne Wahlwiederholung nicht zurücktreten
Die pro-europäische Präsidentin Georgiens, Salome Surabischwili, will nach eigenen Worten nicht aus dem Amt scheiden, bis die umstrittene Parlamentswahl vom Oktober wiederholt wird. „So lange es keine neuen Wahlen gibt und ein Parlament, das einen neuen Präsidenten nach neuen Regeln wählt, wird mein Mandat andauern“, sagte Surabischwili am Samstag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Die Regierungspartei Georgischer Traum hatte nach ihrem von Betrugsvorwürfen überschatteten Sieg bei der Parlamentswahl mit ihrer Parlamentsmehrheit die Wahl eines neuen Staatspräsidenten am 14. Dezember beschlossen.
Surabischwili hatte das neue Parlament wegen Wahlbetrugsvorwürfen als verfassungswidrig eingestuft und das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgericht angefochten. Am vergangenen Dienstag legten die Abgeordneten in Tiflis den Termin für die Präsidentenwahl auf den 14. Dezember fest, Abgeordnete der Opposition boykottierten die Abstimmung. Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat.
Die Nachfolgerin oder der Nachfolger der regierungskritischen Präsidentin Surabischwili soll erstmals nicht mehr direkt vom Volk, sondern von einer 300-köpfigen Wahlversammlung aus 150 Parlamentsabgeordneten sowie Lokal- und Regionalvertretern bestimmt werden. Das neue Wahlverfahren war 2017 im Rahmen einer von der Partei Georgischer Traum vorangetriebenen Verfassungsreform verabschiedet worden.
Aufgrund des Verfahrens gilt als ausgemacht, dass das neue Staatsoberhaupt auf der Linie der Partei von Regierungschef Irakli Kobachidse liegen wird. Der neue Staatschef soll nach Parlamentsangaben am 29. Dezember sein Amt antreten, die Amtszeit dauert fünf Jahre. (afp)
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