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Proteste in GeorgienFestnahmen und Gewalt

Ein „Agenten-Gesetz“ nach russischem Vorbild treibt tausende Ge­or­gie­r*in­nen auf die Straße. Die Polizei greift brutal durch.

Im Polizeigriff: Festnahme eines prowestlichen Demonstranten in Tiflis am 16.4 Foto: Zurab Tsertsvadze/ap

Berlin taz | Sie lassen nicht locker: Seit Montag versammeln sich Tausende De­mons­tran­t*in­nen mit Landes- und EU-Flaggen vor dem Parlamentsgebäude im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tbilissi. Auf Plakaten ist zu lesen: „Nein zu Russland, ja zu Europa!“ und „Ihr seid die Regierung, aber wir haben die Macht!“.

Der Grund für die Proteste, die auch am Mittwoch weiter gingen, ist das so genannte „Agenten-Gesetz“ nach russischem Vorbild, über das derzeit in der Volksvertretung debattiert wird. Am Mittwoch stimmten 83 Abgeordnete in erster Lesung dafür, Gegenstimmen gab es keine. Vier Ver­tre­te­r*in­nen der Opposition waren des Saales verwiesen worden, andere freiwillig gegangen. Dem Gesetz zufolge müssen sich Nichtregierungsorganisationen und Medien, die zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, künftig als „Vertreter ausländischer Interessen“ registrieren lassen.

Der Fraktionschef der Regierungspartei „Georgischer Traum“ (KO) Mamuka Mdinaradze hatte den Vorstoß Anfang April mit der Notwendigkeit begründet, mehr Transparenz im zivilen Sektor schaffen zu wollen. Organisationen, die Mittel aus dem Ausland erhielten, seien eine Quelle für Radikalisierung und Polarisierung in Georgien, so Mdinaradze. Kri­ti­ke­r*in­nen des Gesetzes sehen darin jedoch ein Einfallstor, um die Zivilgesellschaft zu knebeln und letztendlich kalt zu stellen, wie es in Russland schon lange geschieht.

Bereits im März vergangenen Jahres hatte die KO ein „Gesetz über die Transparenz von ausländischem Einfluss“ ins Parlament eingebracht. Infolge von Massenprotesten, die teilweise in gewaltsame Zusammenstöße ausarteten, musste sie das Vorhaben jedoch fallen lassen.

Zweiter Versuch

Dieser „Sieg“ der Opposition war mit ein Grund dafür, dass die Südkaukasusrepublik im vergangenen Dezember den von vielen Ge­or­ge­r*in­nen mit Ungeduld erwarteten Status eines EU-Beitrittskandidaten erhielt. Doch das ficht die KO nicht an. Jetzt und damit sechs Monate vor den Parlamentswahlen nimmt sie erneut Anlauf, um das „Agenten-Gesetz“ durchzuboxen.

Bereits am Montag waren Polizeikräfte mit Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfern gegen die Protestierenden vorgegangen, 14 Personen wurden festgenommen, weitere elf am Dienstag.Georgischen Medien zufolge seien mehrere Jour­na­lis­t*in­nen verletzt worden.

Einem Bericht des Nachrichtenportals oc-media zufolge sei der Generalsekretär der Oppositionspartei, Lelo Irakli Kupradze, massiv geschlagen worden. Parlamentspräsident Schalva Papuaschwili warf den De­mons­tran­t*in­nen Gewalttätigkeit vor. Gewalt sei für sie zu einem Instrument geworden, um ihr politisches Ziel zu erreichen.

Auch namhafte Sportler meldeten sich in der Angelegenheit zu Wort. Jaba Kankawa, Kapitän der Georgischen Fußballnationalmannschaft (das Team ist für die diesjährige Europameisterschaft qualifiziert; Anm. d. Redaktion) postete die Worte „Russland, f*ck dich!“ mit der georgischen und der EU-Flagge im Hintergrund.

Zukunft in Europa

Mixed-Martial-Arts-Sportler Ilia Topuria schrieb auf Social Media: „Es ist schmerzhaft zu sehen, wie die Spezialeinheiten die Demonstranten schlagen. Es ist wichtig, dass die Stimme des georgischen Volkes gehört und respektiert wird. Schade, dass das georgische Volk immer noch dafür kämpfen muss.“

Dazu sind viele Menschen in Georgien offensichtlich nach wie vor bereit. Denn vor allem Ver­tre­te­r*in­nen der jüngeren Generation sehen ihre Zukunft in Europa. Doch diese europäische Zukunft gerät jetzt zunehmend in Gefahr. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, sagte, das „Agenten-Gesetz“ stehe im Widerspruch zu Georgiens EU-Ambitionen. Der Beitrittsprozess werde beeinträchtigt und Tbilissi entferne sich von der EU.

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