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Proteste gegen Neonazis in DresdenMenschenkette gegen rechts

Am Jahrestag des Bombenangriffs auf Dresden haben mehr als zehntausend Menschen mit offiziellen, aber auch spontanen Veranstaltungen gegen Neonazis protestiert.

Tausende Dresdner kamen am Sonntag zur Menschenkette zusammen. Bild: dapd

DRESDEN taz | In Dresden ist mit einer Menschenkette der Opfer des Bombenangriffs vom 13. Februar 1945 gedacht und zugleich ein Zeichen gegen den Missbrauch des Gedenktages durch Neonazis gesetzt worden. NPD-Mitglieder erschienen etwa am Sonntagvormittag wieder bei der Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof. Die Menschenkette konnte schon vor dem Glockenläuten um 14 Uhr auf der etwa 3,5 Kilometer langen Route geschlossen werden. Nach taz-Informationen folgten bis zu 10.000 Menschen dem Aufruf der Stadt, die Stadtverwaltung spricht von 17.000.

Die Veranstaltung eröffnete ausgerechnet Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel (CDU), der vier Tage zuvor beim Zeit-Forum Politik zu Fragen des zivilen Ungehorsams das Publikum im Dresdner Schauspielhaus gegen sich aufgebracht hatte. Sittel erging sich dort in juristischen Ausflüchten und nebelhaften Äußerungen zum städtischen Konzept im Umgang mit dem Gedenktag und ließ jedes persönliche Bekenntnis zum Kampf gegen die Nazi-Okkupation des Jahrestages vermissen.

Viele Dresdner werfen der Stadtverwaltung auch vor, die Menschenkette nicht zeitgleich mit dem 15 Uhr beginnenden Aufmarsch der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) ausgerufen zu haben. Eine Ursache dafür könnte die zur gleichen Zeit stattfindende Verleihung des Dresden-Friedenspreises an den Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim sein. "So etwas kann man besser planen", kommentierte Christian Demuth vom Verein "Bürger Courage".

Am Rande der Menschenkette verteidigte der in Dresden wohnende Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Strategie von Polizei und städtischem Ordnungsamt, den Marsch der JLO und die Gegenaktionen möglichst weiträumig zu trennen. "Das Aufhalten genehmigter Demonstrationen ist nicht Sache der Bürger, sondern der Polizei", antwortete de Maizière auf die Frage nach der Legitimität von Blockaden. "Mein ganzes Bestreben geht dahin, dass wir in Dresden nach und nach wieder zum stillen Gedenken kommen werden", bekannte er. Der Innenminister wurde von Teilnehmern allerdings in eine Diskussion verwickelt, als er behauptete, man müsse sich vor Extremisten beider Lager schützen. "Auch vor den eigenen Bürgern", konterte ein Dresdner.

Denn die Stadt ging über das Trennungsgebot weit hinaus und untersagte auch friedliche und weit vom Sammelplatz der Nazis gelegene Aktionen. Darunter den Rundgang "Täterspuren" des Bündnisses "Dresden Nazifrei", der an der Villa des ehemaligen Gauleiters Mutschmann beginnen sollte. Das Bündnis sagte diesen Rundgang nicht völlig ab, sondern hielt auf einem nahe gelegenen Platz eine etwa 20-minütige provisorische Versammlung mit etwa 250 Teilnehmern ab.

Die Polizei schirmte zwar die Nazi-Marschroute ab, zeigte aber Entgegenkommen. Die erwähnte kurze "Täterspuren"-Kundgebung wurde nicht sofort aufgelöst und an der Nordseite des Hauptbahnhofes, nur durch die Gleisanlagen von der Sammelzone der JLO getrennt, ließ sie eine große Ansammlung von etwa 3.000 Nazi-Gegnern und Dresdner Bürgern zu, die nach der beendeten Menschenkette aus der Innenstadt heranströmten. Ein Sprecher des Bündnisses "Dresden Nazifrei" zeigte sich sehr zufrieden, dass ein solcher gewaltfreier, ja geradezu fröhlicher Protest in Sicht- und Hörweite der Nazis doch möglich sei.

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9 Kommentare

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  • B
    bomberpilot

    die übergrosse mehrheit der deutschen bevölkerung hat"dem führer" zugejubelt, wer "den totalen krieg" will, sollte sich nicht darüber beschweren, was auf die pfoten zu bekommen, deutschland hat 2 weltkriege begonnen, einen vernichtungsfeldzug gegen die "slawischen untermenschen" in osteuropa geführt und mehr als 6millionen juden, roma und sinti und polen fabrikmässig ermordet, mit hilfe der deutschen bevölkerung, ein widerstand gegen den NS hat es, bis auf wenige rühmlichen ausnahmen (vorwiegend kommunist_innen, sozialdemokrat_innen und wenigen bürger_innen) nicht gegeben.

    sowas kommt von sowas

  • A
    atypixx

    @ Milly Tanz

     

    Nicht jeder Deutsche war in der Waffen-SS oder hat in Auschwitz aufgedreht. "Bei soviel Nicht-Reflektion am Anfang des Artikels..."

  • N
    Nobilitatis

    Es sind Leute wie "Milly Tanz", denen wir den Zulauf zu den Rechten zu verdanken haben. Seitdem sitzen die sogar in unserem Stadtrat!

    Warum wird das auch hier verbreitet? Ist das nicht strafbar wegen z.B. Volksverhetzung?

    Wir Dresdner werden nie vergessen, dass erst die ANTIFA das Gedenken störte und dann die Rechten auftauchten!

  • MT
    Milly Tanz

    Kollektives Gedenken an Deutsche "Opfer" muss nicht erst von Neonazis "mißbraucht" werden, um geschichtsrevisionistischen Charakter zu erhalten. Den hat es auch schon, wenn die Mitte der Gesellschaft offenbar geschichtsvergessen versuchen will, den Protest gegen nationalsozialistische Ideologie zu verknüpfen mit Hand-in-Hand gelebter Volkstrauer. Individuell mögen Menschen gerne ihrer Trauer Ausdruck verleihen - als deutsches Kollektiv aber bleibt ihnen nichts zu sagen als: Deutsche Täter sind keine Opfer!

     

    Bei soviel Nicht-Reflektion am Anfang des Artikels muss es dann wohl auch nicht verwundern, daß es als Entgegenkommen der Polizei bezeichnet wird, wenn gerade oben genannten Zusammenhang thematisierende Proteste nicht unmittelbar von der Straße gefegt werden.

     

    Ihr als sogenannte Linke Tageszeitung solltet derartiges eigentlich ja etwas besser verstehen können. So aber habt ihr mir schon zum Frühstück die Laune verdorben - da bleibt dann vielleicht auch nur: Do it again, Bomber Harris!

  • E
    erikius

    Und wo genau war jetzt das Problem, dass Demo und Gegendemo weiträumig getrennt wurden? Offensichtlich blieb es diesmal friedlich und es kam zu keine negativen Auseinandersetzungen von Polizei / Demonstranten wie sonst. Die Dresdener konnten dennoch zeigen, was sie von der Nazidemo halten und durch die große Entfernung wurden aggressiven AntiFalern und der entsprechenden Reaktionen aggressiver Nazis der Boden entzogen.

    Als Bürger der Mitte freut es mich, dass es friedlich blieb - nicht um der Leute willen, die sich gegenseitig die Köpfe einschlgen - sondern um der Polizisten Willen, die so einen viel entspannteren Job hatten und um Passanten und Anwohner, die sonst zu leiden haben...

  • RH
    Roman H.

    Der Bericht ist so einseitig wie die meisten anderen der überregionalen Presse. Keine Erwähnung finden die zahlreichen Störungen durch die Antifa auch bei den offiziellen Gedenkveranstaltungen.

  • W
    Wutbürger

    Ich habe sie satt, diese ständige Larmoyanz über "Aufmärsche" des braunen Gesindels. Es wird endlich Zeit, medial deutlich Stellung zu beziehen gegen die Sympathisantenszene, prominent bestehend aus dem Bundes- und den Unions-Länderinneministern (rühmliche Ausnahme: Herr Caffier in Schwerin), die unter dem Vorwand der Unüberwindlichkeit verfassungsgerichtlicher Bedenken einen Verbotsantrag verweigern und das Gesocks weiterhin mit Steuergeldern mästen. Und es wäre zu wünschen, dass gegen die offensichtliche braune Durchseuchung von Verwaltung, Polizei und Justiz (nicht nur im Osten) ähnlich harsch vorgegangen wird wie seinerzeit mit dem "Radikalenerlass" gegen Radikalkapitalismuskritiker (ach Gott, war der Kapitalismus damals harmlos!) in der Alt-BRD.

  • F
    Frank

    das stille Gedenken.. ja das ist eine Sehnsucht, getruebt nur durch das Stiefeltrampeln.

    Aber das koennte man ja ueberhoeren, wenn da nicht die Linken den Frieden stoeren wuerden. Aber das ja, wieder, zuviel verlangt. Die Geduld hat Grenzen, bisher nur der Fluss.

    Gebt Ruhe oder wir zeigen euch mal wie Sehnsucht geschrieben wird, ganz demokratisch!

     

    http://www.youtube.com/watch?v=UD_OCA7kNsU

  • J
    jensreiner

    Hallo Ihr Tazen,

     

    laßt uns alle stolz sein auf das Engagement der Dresdner und ihrer antifaschistischen Gäste. Sowohl die Menschenkette mit über 10.000 Teilnehmern, als auch die Gegendemonstranten am Hauptbahnhof. Alle zeigen, jeder auf seine Weise, WIR WOLLEN KEINE NAZIS IN UNSERER STADT!!! Schön ist doch, daß sich Dresdner aller Altersklassen aufgemacht haben, ihre Meinung gegen den braunen Spuk öffentlich zu machen. Auch wenn jeder aus dem armseeligen Häufchen Rechter, die durch die Nebenstraßen trotteten, einer zuviel ist, WIR waren mehr als zehnmal soviel. Und wir haben unsere Kinder mitgenommen, damit auch diese lernen, wo wir Dresdner stehen, und daß wir sehr wohl wissen, wem wir die Zerstörung der Stadt und den Tod von mindestens 25.000 Menschen zu verdanken haben - dem kleingeistigen und menschenverachtendem Spuk alter und neuer Nazis.

     

    WICHTIG IST UNS: DRESDEN IST KEINE HOCHBURG DER RECHTEN; SONDERN EINE DES BÜRGERSCHAFTLICHEN ENGAGEMENTS!!

     

    Traurig ist nur, daß unsere Justiz insbesondere die sächs. Verwaltungsgerichtsbarkeit, Recht nur und ausschließlich aus dem schwarzen Gesetzestext ableitet und aus formaljuristischen Gründen dem rechten Spuk die Tore öffnet und die Polizei zu deren Schutz mißbraucht, siehe Sächsische Zeitung vom 08.02. "Ist der Aufruf zur Dresdner Menschenkette demokratiefeindlich?"