Proteste an den Grenzübergänge: Einreiseprobleme für Ukrainer
Seit Polen zum Schengenraum gehört, ist die Einreise schwierig geworden. Ein Visum kostet viel Geld und Zeit. Die Jugend bangt um den Kulturaustausch.
LWIW taz "Die Demonstranten vor dem polnischen Generalkonsulat im westukrainischen Lemberg sind aufgebracht. "Wir sind gegen eine neue Berliner Mauer", steht auf einem Transparent. Olga, eine füllige Frau Mitte vierzig, fängt an zu schimpfen. "Seit Anfang Januar können wir nicht mehr nach Polen. Wir bekommen kein Visum. Nur die Reichen können noch reisen. Wenn das so weitergeht, werden wir die Straßen und die Grenzübergänge blockieren."
Olga kommt aus einer Gemeinde, die knapp 70 Kilometer westlich von Lemberg unweit vom Grenzübergang Shegini liegt. Bisher haben sich die Menschen in dieser strukturschwachen Region mit Arbeitslosenraten von über 30 Prozent mit Kofferhandel über Wasser gehalten. Geschmuggelt wurden vor allem Zigaretten. Aber auch mit den erlaubten Mengen - eine Stange Zigaretten und eine Flasche Wodka - konnte man mit mehreren Grenzüberquerungen pro Tag umgerechnet 20 bis 30 Euro verdienen. Ein polnisches Visum zu bekommen war bisher für Ukrainer nicht schwer. Die Vergabe war großzügig und es wurden Mehrfachvisa ausgestellt.
Doch nun ist es für die Menschen, die östlich der EU-Grenze leben, mit dem Geschäft erst mal vorbei. An der zugemüllten Straße vor dem Grenzübergang sieht man heute fast ausschließlich polnische Autos. Die Polen und alle anderen EU-Bürger brauchen kein Visum für die Ukraine.
Doch die neuen Regeln bei der Visumvergabe machen nicht nur den Kofferhändlern und kleinen Schmugglern das Leben schwer. Auch Kleinunternehmer sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Jaroslaw aus Lemberg hat einen Geschäftspartner in Polen, bei dem er Thermofenster kauft. Mit seinem Minibus bringt er dann die Bestellungen in Lemberg an den Mann - bei der boomenden Baubranche in der Ukraine kein schlechtes Geschäft. "Für mich ist der bürokratische Aufwand entscheidend. Ich bin bereit, die 35 Euro Visagebühren zu zahlen, man braucht aber dutzende Bescheinigungen. Die Schlangen sind riesig."
Junge Menschen bangen vor allem um den Jugend- und Kulturaustausch. In der Grenzregion wurden in den vergangenen Jahren viele Aktionen organisiert, die im Zeichen der ukrainisch-polnischen Versöhnung standen. Im Rahmen des Projektes "Offene Grenze" im polnischen Grenzort Korczmin finden regelmäßig Jugendtreffen und Konzerte statt, an denen auch bekannte Musiker beider Seiten teilnehmen. Das große Festival im August 2007 wurde unter dem Motto "Europäische Brücke" organisiert. "Wie diese Brücke weiter funktioniert, wissen wir nicht", sagt Katarina, die in Lublin Pädagogik studiert. "Ich fürchte, dass solche Aktionen künftig kaum noch möglich sein werden, zumindest nicht mit so vielen Teilnehmern. Das wird verheerende Auswirkungen für den Kulturaustausch haben."
Derzeit haben nicht mal ukrainische Busfahrer ein Visum. Der Linienbusverkehr wurde bis auf weiteres eingestellt. Zwei wichtige Grenzübergänge werden von den Bewohnern des Grenzgebietes immer wieder blockiert. Sie verlangen, dass Kiew und Warschau ein Sonderabkommen unterzeichnen. Dann sollen die Menschen, die in einem 50 Kilometer breiten Streifen an der Grenze leben, die Möglichkeiten haben, vom kleinen Grenzverkehr zu profitieren.
Wie das konkret aussehen wird, weiß keiner. Die Verhandlungen dauern an, heißt es aus Diplomatenkreisen. "Wenn es in einer Woche keine Fortschritte gibt, wollen wir mit den größeren Aktionen anfangen", gibt sich Olga kämpferisch. "Doch auch wohlhabendere Ukrainer fahren jetzt kaum noch nach Polen", sagt sie. "Das Leben an der ukrainisch-polnischen Grenze ist fast zum Stillstand gekommen."
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