Protestaufrufe in Saudi-Arabien: "Tag des Zorns" verläuft im Sand
Mit einer Mischung aus Gewalt, Einschüchterung, Propaganda und Verlockungen lässt das saudische Regime Aufrufe zu Massenprotesten ins Leere laufen.
RIAD taz | Die für Freitag angekündigten Massenproteste in Saudi-Arabien sind zunächst weitgehend ausgeblieben. Dafür aber schoss die saudische Polizei bereits am Donnerstagabend offenbar mit scharfer Munition auf Demonstranten in Qatif, einer fast ausschließlich von Schiiten bewohnten Stadt mit rund 100.000 Einwohnern im Osten des Landes am Persischen Golf.
"Die Polizei hat ohne Vorwarnung auf uns geschossen", sagte gegenüber der taz Fadel, einer von rund 300 Männern, die an der Demonstration in Qatif teilnahmen und der nur seinen Vornamen nennen wollte. Als Beweis schickte er Fotos, darunter eines, das Patronenhülsen und ein Einschussloch in der Windschutzscheibe eines Autos zeigt. Nach Polizeiangaben wurden zwei Demonstranten durch Schüsse verletzt. Nach Angaben der Demonstranten waren es über ein Dutzend.
"Bis halb zwei nachts habe ich immer wieder Schüsse gehört," sagte ein Stadtbewohner. "Die Polizei hat allerdings unser Krankenhaus umstellt, sodass die Verletzten nicht versorgt werden konnten."
Weitere Demonstrationen mit jeweils einigen hundert Demonstranten gab es am Freitag in Qatif und einigen umliegenden Dörfern sowie der Stadt al-Ahsa. Es ging um die Freilassung von neun Schiiten, die seit 1996 ohne Verfahren inhaftiert sind, weil sie angeblich für einen Bombenanschlag auf einen US-Stützpunkt in al-Khobar verantwortlich gewesen sind. "Wir wollen keine Revolution à la Hanin", sagt der Bewohner Qatifs weiter und grenzt sich damit von der neuesten saudischen Facebook-Kampagne für Proteste nach ägyptischem Vorbild ab. In Anspielung auf einen Mann namens Mohammed al-Hanin initiiert, fordert die Hanin-Kampagne den Sturz des saudischen Königs; sie fand bereits 33.000 Unterstützer.
Für Freitag hatte sie zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen. In der Hauptstadt Riad wurde dieser Aufruf zu Massenprotesten nur wenig befolgt. Es gab bis Freitagnachmittag eine kleine Demonstration. Dafür, dass es nicht mehr wurde, sorgte die Polizei. Hubschrauber kreisten über der Innenstadt, alle Läden waren geschlossen, in der Hauptgeschäftsstraße war alle 100 Meter ein Streifenwagen postiert.
Schon im Vorfeld hatte das Königreich Zuckerbrot und viel, viel Peitsche ausgelobt, um Massenproteste unter allen Umständen zu verhindern. Eine vage gehaltene Ankündigung einer baldigen Kabinettsumbildung wurde verbreitet. Der Halbbruder des Königs, Innenminister Prinz Naif, ist seit 35 Jahren im Amt; der Verteidigungsminister, Kronprinz Sultan, seit 49 Jahren. Sultans Bruder und Sohn sind seine Stellvertreter. Allerdings ist es ausgeschlossen, dass die beiden Prinzen, die als Hardliner gelten, entlassen werden, denn das würde das zerbrechliche Gleichgewicht der regierenden Dynastie stören.
Außerdem kündigte die Behörde, die die Strafanstalten überwacht, schon am Dienstag eine Amnestie an, die "tausenden von Inhaftierten" die Freiheit bringen werde. Und Außenminister Prinz Saud bot am Mittwoch auf einer Pressekonferenz den Saudis in wolkigen Worten einen "Dialog" an: "Veränderung wird durch die saudischen Bürger kommen." Aber man werde keinerlei Einmischung von außen dulden, nämlich von Iran.
Zwar legte der Prinz keinerlei Beweise dafür vor, dass der schiitische Erzrivale in irgendeiner Form Einfluss auf die Protestaufrufe genommen hätte, aber jeder in Saudi-Arabien verstand die Botschaft: Hinter den Protesten stehen die Schiiten, und die sind eine Art fünfte Kolonne Irans. Am Donnerstag machte eine SMS-Nachricht die Runde in Riad, die den Iran beschuldigte, hinter den Protesten zu stehen. Jedem, der an den Protesten teilnehme, wurden drei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von umgerechnet 6.000 Euro angedroht. Wer die Proteste fotografiere oder gar filme, werde deportiert und dürfe Saudi-Arabien vier Jahre lang nicht betreten.
Ob es überhaupt Enthusiasmus für Proteste in Saudi-Arabien gibt, ist fraglich. "Gott hat uns alles gegeben. Die Regierung zahlt unsere Krankenversicherung, unsere Arbeitslosenunterstützung und unsere Rente", sagt der 22-jährige Ingenieurstudent Abdurahman al-Yanbi. "Wenn man wirklich will, kann man einen Job bei Kudu (einer arabischen Fastfoodkette) finden."
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