Protestantisch etc.: Der Alb der Jugend
■ Warum sich jungen Erwachsenen Pubertät als Pop-Metapher anbietet
Thema der Jugend. Die Versuche der Schallplattenindustrie, Teenies als Idole zu installieren, sind nahezu erfolglos geblieben: Es sind immer nur junge Erwachsene, denen es gelingt, die Imagination der Jugendlichen zu fesseln. Der Hedonismus eines Mick Jagger war deshalb so anziehend, weil er symbolisierte, wie man Selbstzweifel überwindet – indem der junge Erwachsene den Größenwahn der Pubertät einlöst.
Daß Rock'n'Roll Jugendliche am ehesten erreicht, hat zu tun mit dem, was Kim Gordon von Sonic Youth „Verschwimmen und Verwirrung“ nennt, ein Kanon per definitionem unechter Dinge, „make-believe“. Dies sowieso Unechte kann sich nur darstellen in extremen Sujets: Satanismus und Splatter, zum Beispiel. Das Thema der Jugend ist nicht die Jugend.
Jugend als Thema: Die Jugend, seit Jahrzehnten im Visier der Sozialwissenschaften, hat sich nicht festgesetzt im etablierten Raster der Künste: Installationen wie die des Amerikaners Mike Kelley in München sind nahezu singulär. Was eine Fotografieausstellung im MoMA die „pleasures and terrors of domestic comfort“ nannte, hat Kelley stilistisch adaptiert, nämlich das Hereinschwappen der Konsumgüter- und Kulturindustrie in den „sentimentalisierten Intimraum“ (Hans Heinrich Muchow, 1962) der Kleinfamilie. Das Jugendzimmer ist eine fremdbestimmte Höhle, ein mit idiosynkratischem Eifer collagiertes Bildernest, dessen Quellen standardisierter sind als die von Erwachsenen.
Die Möglichkeit des Erwachsenen, jederzeit das Haus zu verlassen, bestimmt auch seine häusliche Ökonomie, die utilitär ist. Im Vergleich mit dem „protestantischen“ Erwachsenen nimmt der Jugendliche die „katholische“ Position ein – in schwer zu erklärende Bilder und Rituale verliebt. Die Sozialität der Orte ist unheimlich, überlagert, austauschbar: das Klo ist auch ein Altar. So jedenfalls liest Kelley den adoleszenten Code. Er kopiert nicht die Motive (es gibt in der Ausstellung kein Starposter), sondern transkribiert sie in gnadenlos Handgemachtes. Der schwarzweiße Comic, aufgeblasen zum Monsterbild, ist ein Alb im Haus der Kunst. Übrig bleiben, in Form grotesker Spruchteppiche und (auf-)gebrauchter Knuddeltiere, die Puddingfarben der Kindheit.
Epochenschwelle: Edvard Munchs Bild „Pubertät“, in der Fassung von 1895, zeigt ein Mädchen auf einem Bett sitzend, die seltsam rötlich angelaufenen Hände über Scham und Schenkel assymetrisch verschränkt. Ihr Schatten taucht hinter ihr als Gespenst auf. Während sie die Bedrohung abschätzt, dem Betrachter nackt ausgeliefert zu sein, erkennt der Betrachter die Quelle der Gefahr in ihr selbst. Nicht direkt in ihrer Identität, aber in der Geschichte, die mit ihrem Eintritt in die Bildergeschichte beginnt.
Denn Adoleszenz ist ja nur für Gesellschaften von Interesse, die nicht sicher sind, ob sich ihr Maßstab dessen, was ein Erwachsenenleben ausmacht, überträgt. Die kein Konzept von „Reife“ vorzuweisen haben. Daß dies um 1900 der Fall war, hat Munch geahnt, und zu Recht am Mädchen exemplifiziert. Die Zeit des Jünglings geht zu Ende, die Erfindung des Jugendlichen steht bevor. In der Konvergenz der Geschichte von Jungen und Mädchen liegt der Anfang einer Gegenkultur: die katholischen Vorlieben machen sie gleich. Die Kulturindustrie fängt sie auf, als seltsame Spezies der Gesellschaft mit dunklen Eigenrechten.
Der Rock'n'Roll sagt den Kindern in der Pubertät jeden Tag, daß sie begehrt sind, aber sie wissen nicht wofür. Die Jugend ist ein Instrument der Veränderung geworden. Man kann mit ihr alles erreichen, die Frage ist nur, was. Die Antwort darauf bleibt bei der Älteren. Nicht zufällig mußten sowohl Munch als auch Kelley dreißig Jahre alt werden, bis ihnen die jeweils eigene Formel glückte.
Hysterische Begierden: Das Gegenbild ist regressives Einverständnis, ein Andocken an die Aura der Halbwüchsigkeit, wie es zuletzt David Hamilton geglückt ist. Allerdings nicht über die siebziger Jahre hinaus. Seitdem (wie man an seiner vor drei Jahren veröffentlichten Monographie ablesen kann) funktioniert das Modell der befangenen, unentdeckten Verführerin nicht mehr. Die Mädchen scheinen plötzlich zu wissen, wofür sie gewollt werden, und das falsche Schauspiel unschuldiger Sanftheit wird zum untrüglichen Zeichen von Sextourismus auf dem Kontinent weiblicher Sensualität.
Hysterische Bekenntnisse: Salingers Holden Caulfield („Der Fänger im Roggen“) haßt die jungen Studenten in Flanellanzügen und erschrickt vor dem schrecklichen Wort, das er auf eine Toilettenwand gekritzelt findet. Kelley bedient sich derselben Quellen, aber liest sie mit freudianischer Coolness. Sein Bezug ist, das darf man nicht vergessen, die amerikanische Arbeitsgesellschaft mit ihrem starken Antagonismus von aalglatten Verlockungen und rigiden Anweisungen. Die Anweisungspädagogik tritt auf in Form von täglich wiederholten Bekenntnissen zur Verfassung, Tagesparolen und pride-Deklarationen (gemünzt auf Schule oder Footballteam). Die Welt des Teens ist zugehängt mit Wimpeln und Fahnen, die an die Wand gepinnt werden als moralische Trophäen. Bei Kelley liest die schwarzweiße Filzfahne: „Hosenscheißer & stolz drauf/ P.S.: Wichser übrigens auch (Und ne Brille trag ich)“. Die Krise der Pubertät tritt also recht exaltiert in Erscheinung, als hysterisches Bekenntnis zum Status quo. Sie ist gemeint als kulturelle Pubertät, als Sumpf einer Gesellschaft, die ihre Paradoxien leugnet. Die Pubertät ist dann nicht mehr Metamorphose, sondern wuchernde Metapher, ein allgegenwärtiger Comic der Bedrohung von innen. Ulf Erdmann Ziegler
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