: Protestanten protestieren
In Nordirland lösten die alljährlichen Märsche des „Orangeisten-Ordens“ durch katholische Viertel Straßenschlachten mit der Polizei aus ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Wenigstens war das Wetter gnädig: Es regnete die ganze Nacht in Strömen, so daß nur 300 Menschen in Drumcree bei Portadown ausharrten. Die geplante Parade des Orangeisten- Ordens von der Kirche in Drumcree durch die katholischen Wohnviertel an der Garvaghy Road hat in ganz Nordirland Unruhen ausgelöst. Protestanten blockierten die Zufahrtsstraßen zu fast allen nordirischen Städten, das öffentliche Leben kam zum Stillstand, als Büros und Geschäfte aus Angst vor Gewalt schlossen. Belfasts internationaler Flughafen sowie der Hafen von Larne, von wo die Autofähren nach Schottland ablegen, mußten den Betrieb einstellen, weil niemand mehr durchkam.
In der ganzen Provinz wurden Lastwagen und Autos mit südirischem Kennzeichen gehijackt und in Brand gesteckt. In Nord-Belfast kam es in der Nacht zu gestern zu Straßenschlachten zwischen Protestanten und Katholiken. Vier katholische Familien in protestantischen Vierteln wurden aus ihren Häusern gejagt. Das Schlimmste steht allerdings noch bevor: Übermorgen feiern die Protestanten ihren Nationalfeiertag, an dem es traditionell zu Zwischenfällen kommt.
Seit Sonntag stehen sich in Portadown protestantische Demonstranten und die zu 93 Prozent protestantische Polizei gegenüber. Die Beamten setzten Plastikgeschosse ein, als sie angegriffen wurden. Drei Menschen erlitten dabei Verletzungen. Die britische Armee blockierte vorgestern die Straße mit Zementblöcken, die Polizei zog Stacheldraht am Ende der Garvaghy Road.
Die Situation ist ohnehin aufgeheizt: Am Abend wurde der 31jährige katholische Taxifahrer Michael McGoldrick in Lurgan ermordet. Niemand zweifelt daran, daß Loyalisten hinter der Tat stecken, doch die beiden paramilitärischen Organisationen, Ulster Defence Association und Ulster Volunteer Force, bestreiten eine Beteiligung. Vermutlich handelt es sich um einen UVF-Kommandanten aus Portadown, der schon mehrmals gegen die Befehle des Armeerats gehandelt hat. Sprecher der Paramilitärs betonten, ihr Waffenstillstand sei nach wie vor gültig. Sie meinten jedoch, daß ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt würde, und forderten die Freigabe der Garvaghy Road.
Auch David Trimble, der Vorsitzende der größten unionistischen Partei, kritisierte die Polizei und behauptete, die Sperrung der Garvaghy Road für orangeistische Paraden gefährde den Frieden. Für Trimble hat Drumcree eine besondere Bedeutung: Er stand im vorigen Jahr bei den Konfrontationen in vorderster Front und wurde vorübergehend festgenommen. Sein Konfrontationskurs hatte Erfolg: Im Herbst wählte ihn seine Partei zum Vorsitzenden, der als Weichling beschimpfte Vorgänger, James Molyneaux, ist seitdem in der Versenkung verschwunden.
Ian Paisley, der radikale Presbyterianer- Pfaffe von der Democratic Unionist Party, bot Trimble enge Zusammenarbeit „in diesem harten Kampf“ an. Er sagte: „Wir spielen hier kein Spiel, sondern dienen unserem Land.“
In den Vierteln rund um die Garvaghy Road herrscht angespannte Nervosität. Immer wieder kommen neue Gerüchte auf: Da behauptete erst jemand, das Wasser werde abgestellt, und etwas später hieß es, die Protestanten würden die elektrischen Leitungen kappen. Nur ein alter Mann behielt die Ruhe. „Das ist im Augenblick doch der sicherste Ort in ganz Nordirland“, sagte er und deutete auf die Tausenden von Polizisten und Soldaten.Kommentar Seite 10
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