Protest in Israel: Stadtbahn wird zum Politikum
Die israelische Mittelmeer-Metropole Tel Aviv hat lange auf ihre Bahn gewartet. Doch jetzt demonstrieren Linke gegen sie. Das macht einen alten Konflikt sichtbar.
Am Tag der Eröffnung: Protest gegen die neue Stadtbahn in Tel Aviv am 18. August Foto: Ilia Yefimovich/dpa
„Dass die Bahn fährt, glaube ich erst, wenn ich drin sitze“, hörte man dieser Tage oft in Tel Aviv. Gemeint ist die Stadtbahn. An ihrem Schienensystem wird seit gut zehn Jahren gearbeitet, und die Baustellen haben die Leute lange genervt. Der Bau der Stadtbahn hat die Probleme der Stadt noch verschärft. Die Straßen sind eng, der Verkehr zur Rushhour ist zäh.
Jetzt aber ist es so weit, die erste Linie der Stadtbahn ist fertig. Die Rote Linie verbindet fortan Bat Yam im Süden mit Petach Tikwa im Osten der Stadt. Das ist eine sehr gute Nachricht für die Menschen der Agglomeration. Allein im Kern der Metropolenregion Tel Aviv leben 1,5 Millionen. Stau gehört zu ihrem Alltag.
Wie kommt es also, dass Ron Huldai, der Bürgermeister von Tel Aviv-Yafo, schon vorher angekündigt hat, er werde bei der ersten offiziellen Fahrt der Bahn am Donnerstag nicht dabei sein? Warum demonstrierten an eben diesem Donnerstag in Yafo, wo der Zug lange stand, bevor er losfuhr, hundert Leute lautstark für „Demokratia“ und gegen „Diktatura“?
Auch die Stadtbahn ist unter der neuen, von Ultrarechten dominierten Regierung Israels zum Politikum geworden. Erstens empört die Demonstranten, dass, wie sie sagen, die halbe Stadt blockiert wurde, damit sich Benjamin Netanjahu, der sich immer mehr wie ein König benehme, an diesem Tag im Glanz der Stadtbahn sonnen kann. Ihn bekamen die Protestierenden nicht zu Gesicht, nur die Transportministerin Miri Regev. Die winkte ihnen so freundlich zu, als seien sie begeisterte Fans. Die Häme ihrer Geste war nicht übersehen.
Zugeständnis ans religiöse Lager
Zweitens ist die Bahn zu einem weiteren Stein des Anstoßes im gegenwärtigen Kulturkampf geworden. Die Metropolenregion Tel Aviv ist das Zentrum des säkularen Israel – aber die Bahn wird am Schabbat nicht fahren, ein Zugeständnis ans religiöse politische Lager. Das erbost viele, zumal der öffentliche Nahverkehr dieser Tage ohnehin zum heiß diskutierten Thema geworden ist.
Ein Busfahrer hatte eine Gruppe junger Mädchen angeblafft, sie sollten sich erstens züchtig bedecken und zweitens hinten im Bus Platz nehmen. Er erklärte ungeniert, die Frauen sollten froh sein, dass sie überhaupt mitfahren durften. Es ist wie überall: Wo die Rechte regiert, werden die Rechte von Frauen beschnitten. Dagegen erheben allerdings auch immer mehr orthodoxe Frauen ihre Stimme.
Teile der Protestbewegung rufen wegen der Schabbatpause zum Boykott der Stadtbahn auf. Ihre Empörung ist verständlich. Ein Boykott ist jedoch kein praktikables Mittel des Protests. Auf die Stadtbahn haben die Bürger*innen lange genug gewartet. Sie werden es sich wohl nicht nehmen lassen, sie zu nehmen – wenn sie denn nun wirklich fährt.
Protest in Israel: Stadtbahn wird zum Politikum
Die israelische Mittelmeer-Metropole Tel Aviv hat lange auf ihre Bahn gewartet. Doch jetzt demonstrieren Linke gegen sie. Das macht einen alten Konflikt sichtbar.
Am Tag der Eröffnung: Protest gegen die neue Stadtbahn in Tel Aviv am 18. August Foto: Ilia Yefimovich/dpa
„Dass die Bahn fährt, glaube ich erst, wenn ich drin sitze“, hörte man dieser Tage oft in Tel Aviv. Gemeint ist die Stadtbahn. An ihrem Schienensystem wird seit gut zehn Jahren gearbeitet, und die Baustellen haben die Leute lange genervt. Der Bau der Stadtbahn hat die Probleme der Stadt noch verschärft. Die Straßen sind eng, der Verkehr zur Rushhour ist zäh.
Jetzt aber ist es so weit, die erste Linie der Stadtbahn ist fertig. Die Rote Linie verbindet fortan Bat Yam im Süden mit Petach Tikwa im Osten der Stadt. Das ist eine sehr gute Nachricht für die Menschen der Agglomeration. Allein im Kern der Metropolenregion Tel Aviv leben 1,5 Millionen. Stau gehört zu ihrem Alltag.
Wie kommt es also, dass Ron Huldai, der Bürgermeister von Tel Aviv-Yafo, schon vorher angekündigt hat, er werde bei der ersten offiziellen Fahrt der Bahn am Donnerstag nicht dabei sein? Warum demonstrierten an eben diesem Donnerstag in Yafo, wo der Zug lange stand, bevor er losfuhr, hundert Leute lautstark für „Demokratia“ und gegen „Diktatura“?
Auch die Stadtbahn ist unter der neuen, von Ultrarechten dominierten Regierung Israels zum Politikum geworden. Erstens empört die Demonstranten, dass, wie sie sagen, die halbe Stadt blockiert wurde, damit sich Benjamin Netanjahu, der sich immer mehr wie ein König benehme, an diesem Tag im Glanz der Stadtbahn sonnen kann. Ihn bekamen die Protestierenden nicht zu Gesicht, nur die Transportministerin Miri Regev. Die winkte ihnen so freundlich zu, als seien sie begeisterte Fans. Die Häme ihrer Geste war nicht übersehen.
Zugeständnis ans religiöse Lager
Zweitens ist die Bahn zu einem weiteren Stein des Anstoßes im gegenwärtigen Kulturkampf geworden. Die Metropolenregion Tel Aviv ist das Zentrum des säkularen Israel – aber die Bahn wird am Schabbat nicht fahren, ein Zugeständnis ans religiöse politische Lager. Das erbost viele, zumal der öffentliche Nahverkehr dieser Tage ohnehin zum heiß diskutierten Thema geworden ist.
Ein Busfahrer hatte eine Gruppe junger Mädchen angeblafft, sie sollten sich erstens züchtig bedecken und zweitens hinten im Bus Platz nehmen. Er erklärte ungeniert, die Frauen sollten froh sein, dass sie überhaupt mitfahren durften. Es ist wie überall: Wo die Rechte regiert, werden die Rechte von Frauen beschnitten. Dagegen erheben allerdings auch immer mehr orthodoxe Frauen ihre Stimme.
Teile der Protestbewegung rufen wegen der Schabbatpause zum Boykott der Stadtbahn auf. Ihre Empörung ist verständlich. Ein Boykott ist jedoch kein praktikables Mittel des Protests. Auf die Stadtbahn haben die Bürger*innen lange genug gewartet. Sie werden es sich wohl nicht nehmen lassen, sie zu nehmen – wenn sie denn nun wirklich fährt.
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Kommentar von
Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).
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