Protest im Bahnhof: Viel Lärm um - ja worum eigentlich?
Mit einem Flash Mob protestieren Aktivisten im Hauptbahnhof gegen die Privatisierung der Bahn. Sie trommeln laut und hinterlassen verdutzte Passanten, die nicht genau wissen, was ihnen gerade widerfahren ist.
Die akustische Verwandlung des Hauptbahnhofs geht blitzschnell. Es ist Samstagmittag, fünf Minuten vor zwölf. Eben noch hörte man nur das gedämpfte Gemurmel der Reisenden, das Quietschen der einfahrenden Züge oben auf den Gleisen. Da holen Dutzende Männer und Frauen wie auf ein geheimes Zeichen hin Rasseln, Töpfe und Kochlöffel unter ihren Jacken hervor. Laut scheppert es plötzlich durch die Halle. Die Krachmacher stehen verstreut herum, verziehen keine Miene, während sie das Metall bearbeiten und in ihre Trillerpfeifen pusten.
Flash Mob nennt man öffentliche Aktionen, bei denen sich die Teilnehmer über das Internet oder über Handy verabreden. Sie erregen Aufmerksamkeit, weil sie sich plötzlich anders verhalten als sonst. Mal springen alle gleichzeitig in die Luft, mal fallen sie sich weinend in die Arme. Sie wollen irritieren.
So auch am Samstag. Zwei Minuten, dann verstummt der Lärm so jäh, wie er begonnen hat. Nun halten die Aktivisten Pappschilder in die Höhe. "183 = 13" haben sie darauf geschrieben. Passanten schauen verwundert. Einige Fans von Energie Cottbus mit roten Schals um den Hals bleiben stehen und verbreiten eine Alkoholwolke um sich herum. Eine asiatische Touristin hat sich gerade noch lächelnd auf der Rolltreppe fotografieren lassen. Jetzt guckt sie, was die Deutschen da Merkwürdiges treiben.
Flash Mobs haben etwas Surreales. Doch das ist auch ihr Problem: Niemand begreift, dass es sich um eine Protestaktion gegen die Privatisierung der Bahn handelt. Eine Besucherin aus der Schweiz vermutet: "Die sind gegen die Lokführerstreiks. Die Gewerkschaft verlangt ja auch wirklich zu viel Geld." Eine junge Frau, die Zeitungen verteilt, sagt: "Ich finde gut, was die da machen. Das ist echt überraschend." Worum es geht, weiß sie nicht so genau. Nur wer nachfragt, bekommt einen Zettel zugesteckt. Darauf steht: "Die Alternative zur Privatisierung - eine bessere Bahn in öffentlicher Hand. Bündnis Bahn für Alle".
Um Punkt zwölf Uhr ist der Spuk vorbei. Die Protestler verschwinden geräuschlos in der Menge. Ein Mittvierziger mit Zopf bleibt noch ein bisschen und erklärt das Zahlenspiel auf den Plakaten. 183 Milliarden sei der Konzern insgesamt wert, aber beim geplanten Verkauf werde er nur auf 13 Milliarden geschätzt. "Die Bahn wird für einen Appel und ein Ei verscherbelt, das ist eine Verschleuderung des Allgemeineigentums", sagt er und mischt sich dann ebenfalls unter die Leute.
Es ist, als wäre nichts geschehen. Die Cottbus-Fans regen sich wieder. "Auswärtssieg, Auswärtssieg", schreien sie. Das verstehen alle.
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