Protest gegen rechten Laden: Ein Stadtteil lernt protestieren
Zunächst fast unbemerkt hat der in der rechten Szene beliebte Laden „Tønsberg“ in Hannover-List eröffnet. Gegner des Ladens mobilisieren seither Protest
Rabimmel, rabammel, rabumm! Mit Blaskapelle und Laternen zieht der Demonstrationszug am Samstagabend durch Hannovers Stadtteil List. Über die Walderseestraße mit ihren großzügigen Gründerzeit-Villen am Rande des Stadtwalds Eilenriede. Auf die Podbielskistraße, stadtauswärts, vorbei an schmucken, restaurierten Altbauhäusern mit teuren Boutiquen. Aus Fenstern und von Balkonen winken Anwohner, Passanten schließen sich dem Laternenumzug an. Das Ziel: Die „Podbi“ 159, wo seit Mitte September im Geschäft „Tønsberg“ Klamotten der in der rechten Szene beliebten Marke „Thor Steinar“ verkauft werden.
Zurückhaltung im „Pädagogen-Ghetto“
Auf betont friedliche Aktionen wie den Laternenumzug setzen die Gegner des Ladens, die sich kurz nach der Eröffnung zur „Initiative gegen rechten Lifestyle in Hannover“ zusammengeschlossen haben. Im „Pädagogen-Ghetto“ List, wie der Stadtteil genannt wird, ist man „bei Demonstrationen erfahrungsgemäß eher zurückhaltend“, formuliert es Silvia Müller von der Ini, Studentin und selbst Nachbarin des Ladens. Worum es den rund 200 Demonstrierenden am Samstag geht, ist erst beim Blick auf die Banner und Laternen zu erkennen – und am Polizeiaufgebot. „Lieber Strick als Nazi-Schick“ und „Coole Kids haben kein Vaterland“ steht auf buntbemalten Schildern, beleuchtet von Lichterketten, und „Mädchen finden Nazis doof“ auf einer Laterne. Ein gutes Dutzend Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken weicht nicht von der Seite der Demonstranten auf ihrem Weg durch die List. Unter ihnen sind viele Jugendliche, Eltern mit Kindern an der Hand, auf der Schulter oder im Kinderwagen.
Vornehmlich Akademiker, Lehrer und betuchtere Jungfamilien leben hier. Die Dichte an Bio-Supermärkten und Eine-Welt-Läden ist hoch, in den Cafés sind Krabbelecken und Bio-Kinderbrei Standard. Zugleich fährt man gerne SUV. Der „Tønsberg“-Laden hat hier zunächst fast unbemerkt eröffnet. In Hannovers Alternativ-Szenestadtteil Linden hängen schon seit Wochen Plakate gegen ein für den kommenden Freitag angekündigtes Konzert der umstrittenen Band Freiwild. Der Bezirksrat hat einstimmig die Absage des Auftritts der „in der rechten Grauzone verorteten Band“ gefordert. In der List dagegen muss man erst einmal „sensibilisieren“, wie Müller sagt. Dass „Tønsberg“ eben „nicht der Supermarkt nebenan ist, sondern ein Laden, der die aktive Neonazi-Szene aus der gesamten Region anzieht“, sei vielen nicht gleich klar.
Die „Thor Steinar“-Klamotten haben in dieser Szene vor allem durch das uneindeutig eindeutige Spiel mit Runen, Bezügen zu germanischen Mythen und mehrdeutigen Symboliken Erfolg – oft an der Grenze der Strafbarkeit, aber eben nicht illegal. Ähnlich ist es auch mit der Ansiedlung von „Thor Steinar“-Läden. „Wir können nur aufklären, dass diese Kleidungsmarke in der rechtsextremen Szene identitätsstiftend ist“, heißt es von der Stadt Hannover, wo man über die Neueröffnung wenig erfreut ist. „Rechtlich gibt es von Seiten der Stadt als Ordnungsbehörde aber keine Möglichkeit, einen solchen Laden zu verbieten.“ Vor allem Proteste führten in den vergangenen Jahren in anderen Städten zu Kündigungen und Auflösungen von Mietverhältnissen für Szene-Läden wie „Thor Steinar“ (siehe Kasten).
In Hannover sind die Aussichten darauf allerdings mäßig. Das Ladenlokal im Erdgeschoss der „Podbi“ 159 hat vor der „Tønsberg“-Eröffnung eine Firma namens Dimo Logistik GmbH gekauft. Die hat weder eine Telefonnummer noch eine Internetseite. Eine der wenigen Informationen, die es gibt, ist, dass sie ihren Sitz erst vor Kurzem von Eichwalde nach Königs Wusterhausen in Brandenburg verlegt hat. Genau dort wurde die Marke „Thor Steinar“ 2002 gegründet. Und dass man bei der Dimo Logistik schon vor Abschluss des Mietvertrags wusste, wer sich da einmietet, hat die Firma bereits erklärt. Mit den Mietern ist man offenbar durchaus einverstanden – im Gegensatz zur sonstigen Eigentümergemeinschaft des Hauses. Die versucht nun, den Betrieb des Ladens zu erschweren.
Im schleswig-holsteinischen Glinde hält der Protest gegen den Bekleidungsladen "Tønsberg" seit gut zwei Jahren an. Am 16. September 2011 öffnete der Laden, der nur die Modemarke "Thor Steinar" anbietet. Eine Klage der Vermieter scheiterte im vergangenen Jahr. Mahnwachen und Informationsveranstaltungen richtet die Bürgerinitiative "Glinde gegen rechts" weiterhin aus. Im Oktober erhielt die Initiative den Hans-Frankenthal-Preis.
In Bremen schloss im Frühjahr 2011 nach jahrelangem Protest der Szeneladen "Sportsfreund", der unter anderem "Thor Steinar"-Bekleidung im Angebot hatte.
In Hamburg musste der Laden "Brevik" viel schneller schließen: Im Oktober 2008 hatte das "Thor Steinar"-Geschäft mitten in der Innenstadt eröffnet. Dauerproteste bewegte die HSH Nordbank als Vermieterin, das Mietverhältnis aufzulösen. Sie soll seinerzeit eine Abfindung gezahlt haben. Schon 2007 wurde der Szeneladen "Odin + Freya" in der Bürgerweide geschlossen, der wegen Anwohnerprotesten zuvor aus St. Pauli hatte weichen müssen.
In der niedersächsischen Gemeinde Tostedt saß über Jahre laut Selbstdarstellung "Norddeutschlands größter Szeneladen" mit Namen "Streetwear Tostedt". Mit im Programm: Bekleidung und Accessoires von "Thor Steinar". Nach Rechtstreiten und Protesten schloss Betreiber Stefan Silar Anfang des Jahres den Laden. Seitdem läuft das Geschäft über das Internet mit dem Slogan "Ausverkauf!!! Alles muss raus!"
Das Logo über dem Eingang hat die Hausverwaltung bereits entfernen lassen. Eigentümergemeinschaft und Hausverwaltung wollen juristisch prüfen lassen, ob sie der Wahl des Mieters für das Ladenlokal hätten zustimmen müssen. Die Initiative hat Kontakt zur Stadt Tønsberg in Norwegen aufgebaut. In Tønsberger Zeitungen wurde über den Protest gegen die Verwendung des Stadtnamens in Hannover bereits berichtet. Der hannoversche SPD-Landtagsabgeordnete Michael Höntsch hat sich außerdem an die Stadt selbst gewandt. Die teilte ihm mit, sie prüfe rechtliche Mittel gegen die Nutzung des Namens. „Hoffnungsvoll“, mache ihn das, sagt Höntsch. Die „Thor Steinar“-Gegner bräuchten dennoch einen „langen Atem“, befürchtet er.
Der Widerstand in der List nimmt zu
Müller ist sich sicher, dass die Initiative den aufbringt. Jeden Samstag steht sie seit der Eröffnung mit einem Info-Stand vor dem Laden. Der Rückhalt wachse. Immer mehr Anwohner, Gewerkschafter, Eltern und Rentner kämen dazu. Und während die erste von mittlerweile vier Demos noch die Antifa Wunstorf organisierte, hat zum Laternenumzug am Samstag neben Hannovers Grünen auch die Integrierte Gesamtschule offiziell aufgerufen.
Für eine der nächsten Aktionen gibt es Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die lädt Mitte Dezember zu einer Info-Veranstaltung ins Sheraton-Hotel, nur wenige Hundert Meter vom „Tønsberg“-Laden entfernt. Auf dem Podium sitzen dann neben Müller von der Ini Rechtsextremismusexperten und Vertreter des „Ladenschluss“-Bündnisses aus Bremen. Dort war man gegen das Szene-Geschäft „Sportsfreund“ erfolgreich. Nach jahrelangen Protesten von Anwohnern, benachbarter Kirchengemeinde und Antifa-Aktivisten machte der Laden 2011 dicht – auch, weil am Ende keine Kunden mehr kamen. „Im besten Fall“, sagt Müller, „nerven wir mit solchen Aktionen richtig.“
Vom Laternenumzug am Samstag kriegt man bei „Tønsberg“ nur indirekt etwas mit. Als die Demonstrierenden in der „Podbi“ 159 ankommen, ist das Geschäft längst geschlossen. Hinter dem Plexiglas-Schaufenster ist es menschenleer. Nur das Schild „Ladengeschäft videoüberwacht“ ist im flackernden Licht zwischen Kratzern und Farbbeutelspuren zu lesen.
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