Protest gegen Naturzerstörung in Polen: Streit über Oder-Ausbau
Umweltverbände, Forscher und Politiker aus Polen und Deutschland wollen den Grenzfluss vor Eingriffen schützen. Der Hochwasserschutz sei ein Vorwand.
Zu den Unterzeichnenden zählen neben dem Deutschen Naturschutzring, Nabu, BUND, WWF, DUH und anderen auch Experten etwa vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie (IGB) und Politiker des Brandenburger Landtags, des Bundestags und des EU-Parlaments, primär von den Grünen und Linken. Hinzu kommen die jeweiligen Pendants aus Polen.
Die deutsche und vor allem die polnische Regierung planen seit Jahren Arbeiten an der Oder, 2015 schlossen sie dazu einen Vertrag. Polen treibt den Ausbau seit einiger Zeit voran und will die Buhnen erneuern – Dämme aus Steinen oder auch Beton, die vom Ufer in den Fluss ragen und diesen so schmaler und schneller machen. Ziel ist eine durchgängige Tiefe von mindestens 1,80 Meter, damit Eisbrecher hindurch kommen, um im Winter Hochwasserschutz zu gewährleisten.
Doch die Kritiker dieser offiziellen Begründung halten sie für vorgeschoben und nennen drei Hauptargumente. Erstens würden die Maßnahmen gar nicht gegen Hochwasser helfen, teils sogar das Gegenteil verursachen. Das legen unter anderem Berechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau und auch das IGB nahe. Und noch nie, das hat der Bundestag bestätigt, habe es wegen Niedrigwassers ernste Probleme mit Eisbrecher-Einsätzen gegeben. Zweitens würde der Ausbau „zu inakzeptablen Schäden an den Ökosystemen führen“, „die Austrocknung der Auen zu einer enormen Freisetzung von CO2 führen“ und gegen geltendes EU-Umweltrecht verstoßen. Und drittens handele es sich bei der Nutzung bewilligter Gelder um eine Zweckentfremdung aus primär wirtschaftlichen Interessen der Binnenschifffahrt und einiger weniger Unternehmen.
Lange wurde an der Oder, die über fast 200 Kilometer die Grenze zwischen Deutschland und Polen markiert, nicht viel verändert. Der Fluss ist für größere Schiffe zu flach, gilt als einer der letzten weitgehend frei fließenden Europas und durchquert einzigartige Landschaften. Darunter befindet sich der deutsche Nationalpark Unteres Odertal mit Feuchtgebieten und Flussauen. Um sie vor dem Ausbau zu schützen, wurden in Polen wie Deutschland kürzlich Petitionen eingereicht. Das Brandenburger Umweltministerium legte Widerspruch gegen die polnische Umweltprüfung ein: Sie habe nur kurzfristige Folgen betrachtet. Dass dies Erfolg hat, gilt als unwahrscheinlich.
Appell an die EU-Kommission
Die nun vorgelegte Erklärung richtet sich an die Regierungen Deutschlands und Polens sowie die internationalen Geldgeber. „Die Europäische Kommission sollte kein Projekt finanzieren, das nicht den rechtlichen Rahmenbedingungen der EU entspricht und nicht mit dem Europäischen Green Deal und der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 vereinbar ist“, findet Mitunterzeichnerin Ska Keller, Co-Vorsitzende der Grünen/EFA Fraktion im Europäischen Parlament. Weltbank, Entwicklungsbank des Europarates und EU-Kommission müssten daher kritisch prüfen, wofür ihre Mittel tatsächlich eingesetzt werden.
„Die Bundesregierung muss endlich auf die einseitigen Ausbaubestrebungen Polens reagieren“, fordert die Brandenburger Landtagsabgeordnete Sahra Damus. Die Grünen-Politikerin hat die Erklärung mit verfasst und vertritt den Wahlkreis Frankfurt (Oder). „Polen plant weit mehr, als im Abkommen von 2015 steht“, sagt sie, „leider hat die damalige Brandenburger Landesregierung das selbst mit befördert.“ Damit spielt Damus auf den Umstand an, dass auch der Ausbau der Klützer Querfahrt in dem Papier geregelt ist. Es handelt sich um einen kurzen Seitenarm auf polnischem Gebiet. Seine Vertiefung würde der deutschen Papierfabrik Leipa in Schwedt freie Schiffsfahrt zur Ostsee ermöglichen.
Zum Hochwasserschutz als Vorwand für Wirtschaftsinteressen lägen dem Bundesumweltministerium (BMU) keine Erkenntnisse vor, sagte ein Sprecher der taz. Die Länder seien für Umwelt-, Natur- und Hochwasserschutz zuständig. Man habe das Umweltministerium Brandenburgs beim Widerspruch gegenüber Polen unterstützt. Ob man eine Klage vor polnischen Gerichten unterstütze, könne man noch nicht sagen. Zudem sehe das BMU „keine erfolgversprechende Möglichkeit, auf EU-Ebene gegen dieses Vorhaben vorzugehen“. Es würden aber in Absprache mit Polen Pläne erarbeitet, um mögliche grenzüberschreitende Auswirkungen zu überwachen, „damit rechtzeitig darauf reagiert werden kann.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“