Protest gegen Heckler & Koch: „Erst der Ungehorsam, dann die Musik“
Das Orchester „Lebenslaute“ protestiert mit klassischer Musik. Heute mit „Kampfbratsche“ vor dem Werk des Waffenherstellers Heckler & Koch in Oberndorf.
taz: Barbara Rodi und Gerd Büntzly, Sie spielen Bratsche und singen und arrangieren klassische Chorstücke. Am Montag wollen Sie mit Ihrem Orchester „Lebenslaute“ die Werkstore des Waffenherstellers Heckler & Koch blockieren. Sind Orchestermusiker nicht eigentlich eher unpolitisch?
Gerd Büntzly: In meinem Studium hieß es, Instrumentalmusiker sind eigentlich strohdumm. Die müssen ständig üben und haben keine Zeit, etwas zu lesen. Andererseits gibt es große Musiker in der Vergangenheit, die sehr politisch geworden sind.
Orchester haben normalerweise starke Hierarchien. „Lebenslaute“ organisiert sich basisdemokratisch.
Barbara Rodi: Unsere Dirigentin gibt schon den Takt vor, aber sie hat nicht in allen Bereichen das Sagen. Das würden viele Dirigenten nicht mitmachen, weil ihnen die Diskussionen zu anstrengend sind. Wir sind ein Laienorchester und nur einige Profis. Im Vordergrund steht der zivile Ungehorsam, an zweiter Stelle die Musik.
Am Montag spielen Sie vor dem Werksgelände des deutschen Schusswaffenherstellers „Heckler & Koch“, der wegen dem Verkauf von Waffen in Embargo-Staaten in der Kritik war.
Rodi: Wir geben ein Konzert an Orten, wo alle bisherigen Proteste nichts genützt haben. Auf Truppenübungsplätzen, auf Atommülllagern. Mit der Musik dramatisieren wir das Ganze. Bei Heckler & Koch gab es schon Proteste, aber die lokalen Medien haben darüber nicht berichtet.
Büntzly: Wir treten in Orchester- und Chorkleidung auf und repräsentieren damit bürgerliches 19. Jahrhundert. Wir machen Musik zu einer gewaltfreien Aktion zivilen Ungehorsams. Es geht um Widerstand, nicht um Protest.
Im Orchester „Lebenslaute" engagieren sich seit 1986 bundesweit MusikerInnen sowie nicht musizierende UnterstützerInnen, die klassische Musik mit Aktionen des zivilen Ungehorsams verbinden. Dieses Jahr unterstützt „Lebenslaute“ der Kampagne "Aktion Aufschrei" gegen Rüstungsexporte. Das Konzert findet am 3.9.2012 um 10 Uhr vor den Toren des Waffenfabrikanten Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar statt.
Barbara Rodi, 50, lebt in Herford. Sie ist Musiktherapeutin und spielt Violine, Bratsche und Schlagzeug. Rodi ist seit der ersten Konzertaktion 1986 bei „Lebenslaute“ aktiv.
Gerd Büntzly, 63, lebt in Herford. Er hat Spanisch, Französisch und Deutsch studiert und arbeitet als Musiklehrer. Seit 2005 arrangiert er Musik und dichtet Texte für „Lebenslaute".
Das bürgerliche Milieu, das klassische Musik hört, soll zu politischen Aktionen auf der Straße bewegt werden?
Büntzly: Ja. Außerdem schreckt die Polizei davor zurück, die kostbaren Instrumente zu zerstören.
Rodi: Die ursprüngliche Idee war, einfach Spaß zu haben bei solchen Aktionen.
Die erste Konzert-Aktion fand 1986 auf der Schwäbischen Alb gegen die Stationierung von US-amerikanischen atomaren Pershing-II-Raketen statt. Wie kamen damals so viele Musiker zusammen?
Rodi: Da waren ein paar Musiker dabei, die wollten nicht nur rumsitzen. Wir haben dann eine Anzeige in der taz geschaltet, dass wir ein Konzert geben wollen, und am Ende waren wir 120 Musiker und Chorsänger aus der ganzen Republik.
Hat „Lebenslaute“ damals gezielt Leute aus der bürgerlichen Schicht zu politischen Aktionen auf der Straße rekrutiert?
Rodi: Es gab beides. Viele waren bereits politisch engagiert und haben ein Instrument gespielt oder gesungen. Es gab aber auch andere, die neu in der Szene waren. In Mutlangen hat der Erste Konzertmeister des Süddeutschen Rundfunks mitgespielt, eine Koryphäe. Der war gegen die Raketen, aber er war nie vorher auf der Straße gewesen.
Büntzly: Den zivilen Ungehorsam haben damals eben auch Leute mitgetragen, die aus der Mittelklasse kommen und klassische Musik mögen. Viele von den Rockern und Punkern sind ja eher gewalttätig drauf.
Rodi: Nein, das würde ich nicht sagen.
Büntzly: Viele schon. Und die Aktionen damals wurden eher von Klassikliebhabern getragen.
Auch ein Song der Punk-Band „Chumbawamba“ steht auf dem Programm.
Büntzly: Ja, das habe ich arrangiert. Ist aber ein sanftes Lied.
Empfohlener externer Inhalt
Welche Musik wird Heckler & Koch noch zu hören bekommen?
Büntzly: Das „Friedensoratorium“ von Wolfgang Pasquais mit einem herben Text von Erasmus von Rotterdam: „Wir aber beschönigen diesen offenkundigen Wahnsinn der Rüstung …“, das „Alexanderfest“ von Händel, und Janacek.
Rodi: Oft spielen wir noch einen Haydn oder Schubert, weil das bekannte und schöne Musik ist.
Müssen die Stücke in einem politischen Kontext komponiert worden sein?
Büntzly: Nein, die Chorsachen dichten wir meist um, wenn die alten Texte schwierig zu verstehen sind. Zum Beispiel habe ich Bachs Bauernkantate umgetextet auf das Thema Gentechnik. Und Telemann schrieb die Kantate „Der Morgen“, da besingt der erste Chor die Kraft der Sonne. Es gibt keinen besseren Text gegen Atomkraft!
In der Rede zur heutigen Aktion zitieren Sie „Schwerter zu Pflugscharen“. Warum beziehen Sie sich auf das Motto der alten Friedensbewegung?
Büntzly: Wir sind die alte Friedensbewegung. Und es passt zu dem, was wir von Heckler und Koch fordern: von der Waffenproduktion auf zivile Güter umzustellen.
Was konnten Sie denn mit Ihren Konzert-Blockaden bislang erreichen?
Büntzly: In Bielefeld haben wir einmal die Ausfahrt der Ausländerbehörde blockiert. Der Lastwagen, der Asylbewerber zur Abschiebung zum Flughafen, konnte nicht weg. Barbara wurde später angeklagt, weil sie zur Aktion aufgerufen hatte. Eine typische Lebenslaute-Geschichte.
Rodi: Natürlich kommt das nicht ständig vor. Wir agieren nie allein, sondern unterstützen Initiativen vor Ort. Wichtig ist uns, mit einer symbolischen Aussage etwas anzustoßen, etwa mit der Besetzung eines Militärgeländes. Das hat auch funktioniert. Die Pershing-Raketen, zum Beispiel, wurden damals bekanntlich wieder abgezogen.
Steht vorher genau fest, wie eine Aktion abläuft?
Rodi: Wir besprechen vorher, wer das Risiko eingehen will, festgenommen zu werden. Es sind viele dabei, die in ihrem Alltag hauptsächlich Musik machen, und denen ist es oft sehr wichtig, dass die Musik auch in voller Länge gespielt wird. Und anderen ist die Aktion wichtiger. Manchmal gibt es da Spannungen.
Büntzly: Wichtig bei „Lebenslaute“ ist die Verlässlichkeit. Bei Demos erlebe ich oft Chaos, weil Aktionen schlecht vorbereitet sind. Wir legen vorher einen Zeitpunkt fest, wie lange wir an einem Ort bleiben. Und diese Verabredung wird eingehalten. Wenn es dann noch weitergehen soll, beraten wir uns.
Rodi: Unter Musikern ist es man es gewohnt, aufeinander zu hören. Leute, die uns unterstützen, sind oft erstaunt, wie strukturiert es bei uns zugeht.
„Lebenslaute“ wird manchmal Polit-Tourismus vorgeworfen.
Büntzly: Auf die Idee kann man kommen. Wir haben jedes Jahr ein anderes Thema, und dann strömen die Leute aus der ganzen Republik zusammen. Ich mag es nicht, wenn Leute von uns schon planen, was sie am Tag nach der Aktion machen, anstatt ihn sich freizuhalten. Die Leute sind nicht für eine Festnahme gewappnet.
Aber wen stören Sie eigentlich mit einer Aktion, wenn alle schon wissen: „Die gehen weg, wenn das Konzert vorbei ist“?
Rodi: Wir kündigen unsere Aktionen öffentlich an, weil uns auch Publikum wichtig ist. Aber manchmal machen wir eine Aktion auch einfach früher als geplant. In Gorleben sind wir über den Zaun des Zwischenlagers gestiegen, obwohl eine Blockade angekündigt war. Bei einer Aktion hat sich ein Spitzel untergemischt, um zu erfahren, was wir vorhaben. Ich denke, wir stören schon.
Wurde Ihnen Ihre Bratsche bei einer Aktion schon einmal von der Polizei abgenommen?
Rodi: Einmal, bei einer Aktion zu zweit. Wir haben mit der „Kleinen Nachtmusik“ auf einer Kreuzung die Polizei aufgehalten. Da haben sie uns die Instrumente abgenommen. Für die Aktionen habe ich immer meine „Kampfbratsche“ dabei.
Eine „Kampfbratsche“?
Rodi: Ja, die ist nicht so wertvoll. Zu Hause habe ich noch eine gute. Wir haben sogar einen Instrumentenverleiher, bei dem sich einige von uns für die Aktionen draußen ausstatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid